Sterben: Roman (German Edition)
und begann, die Kleidungsstücke in die Säcke zu stopfen, dabei die ganze Zeit durch den Mund atmend. Als die Säcke gefüllt waren, schleppte ich sie nach draußen und legte sie zu dem Müllhaufen vor den zwei grünen Kanistern am Garagentor. Ich hatte fast alles ins Freie geschafft, nur die untersten, breiigen Schichten standen noch aus, als Yngve rief, es gebe Essen.
Er hatte den Müll und die dreckigen Sachen von der Arbeitsplatte geräumt, und auf dem Tisch, auch er abgeräumt, standen ein Teller mit gebratenen Frikadellen, eine Schüssel mit Kartoffeln und eine zweite mit Blumenkohl sowie ein kleines Kännchen mit brauner Sauce. Er hatte mit Großmutters altem Sonntagsgeschirr gedeckt, das in den letzten Jahren unangetastet im Schrank gestanden haben dürfte.
Großmutter wollte nichts essen, aber Yngve tat ihr trotzdem eine halbe Frikadelle, eine Kartoffel und ein Blumenkohlröschen auf und schaffte es, sie zum Probieren zu bringen. Ich selbst war hungrig wie ein Wolf und aß vier.
»Hast du die Sauce mit Sahne gemacht?«, sagte ich.
»Mm. Und mit ein bisschen Molkenkäse.«
»Sie schmeckt gut«, sagte ich. »Das ist genau das, was ich jetzt gebraucht habe.«
Nach dem Essen gingen Yngve und ich auf die Veranda hinaus, rauchten eine Zigarette und tranken Kaffee. Er erinnerte mich daran, dass ich Tonjes Vater hatte anrufen wollen, was ich völlig vergessen hatte. Oder vielleicht auch verdrängt, denn ich freute mich nicht unbedingt darauf. Aber es musste sein, und so ging ich in unser Zimmer hinauf, holte mein Adressbuch aus dem Koffer und wählte am Telefon im Esszimmer seine Privatnummer, während Yngve in der Küche den Tisch abdeckte.
»Hallo, hier ist Karl Ove«, meldete ich mich, als er an den Apparat ging. »Ich wollte fragen, ob du mir bei etwas helfen könntest. Ich weiß nicht, ob du es schon von Tonje gehört hast, aber mein Vater ist gestern gestorben …«
»Ich weiß, sie hat angerufen und es mir erzählt«, erwiderte er. »Das tut mir leid, Karl Ove.«
»Ja«, sagte ich. »Jedenfalls bin ich jetzt hier unten in Kristiansand. Meine Großmutter hat ihn gefunden. Sie ist über achtzig und steht anscheinend irgendwie unter Schock. Sie spricht fast nicht, sitzt nur da. Und da habe ich überlegt, ob es vielleicht ein Beruhigungsmittel oder etwas anderes gibt, was ihr helfen könnte. Sie nimmt zwar schon Medikamente, und wahrscheinlich ist auch etwas Beruhigendes dabei, aber ich dachte … Na ja, du verstehst schon. Es geht ihr wirklich schlecht.«
»Weißt du, welche Medikamente sie nimmt?«
»Nein«, sagte ich, »aber ich kann versuchen, es herauszufinden. Warte mal kurz.«
Ich legte den Hörer auf dem Tisch ab und ging zum Regal in der Küche, auf dem ihre Medikamente lagen. Darunter, meinte ich mich erinnern zu können, hatte ich gelbe und weiße Zettel gesehen, die vermutlich Rezepte waren.
Da lag was, aber nur eins.
»Hast du die Tablettenschachteln gesehen?«, fragte ich Yngve. »Ich telefoniere gerade mit Tonjes Vater.«
»In dem Schrank neben dir stehen welche«, meinte Yngve.
»Wonach suchst du?«, sagte Großmutter von ihrem Platz aus.
Ich wollte sie nicht bevormunden, und ihr Blick in meinem Rücken war mir bei meiner Suche die ganze Zeit über bewusst, aber gleichzeitig konnte ich darauf keine Rücksicht nehmen.
»Ich spreche mit einem Arzt«, sagte ich ihr, als wäre damit alles erklärt. Seltsamerweise gab sie sich mit meiner Antwort zufrieden, und ich verließ, das Rezept und die Medikamente halb in den Händen verbergend, das Zimmer.
»Hallo?«, sagte ich.
»Ich bin noch dran«, meldete er sich.
»Ich hab jetzt ein paar Medikamente gefunden«, sagte ich und las ihm die Namen vor.
»Aha«, sagte er. »Sie nimmt tatsächlich etwas gegen Angstzustände, aber ich kann ihr trotzdem was verschreiben, das geht schon in Ordnung. Sobald wir aufgelegt haben, kümmere ich mich drum. Gibt es in deiner Nähe eine Apotheke?«
»Ja, es gibt eine in Lund. Das ist ein Stadtteil.«
»Alles klar. Kopf hoch.«
Ich legte auf und trat wieder auf die Veranda hinaus, blickte zur Mündung des Fjords, wo der Himmel noch bewölkt war, nun allerdings mit einem ganz anderen und leichteren Licht in der Wolkendecke. Tonjes Vater war ein guter Mensch und ein feiner Mann. Er würde niemals etwas Unanständiges tun oder in irgendeiner Form zu weit gehen, er war angesehen und kompetent, jedoch nicht steif oder formell, im Gegenteil, oft war er voller Eifer, wirkte jungenhaft, und wenn er nicht zu
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