Sterben: Roman (German Edition)
einen entgegenkommenden Lkw zu fahren, um der Schande eines offenen Selbstmords zu entgehen. Das war zu der Zeit, als er und Unni in den Süden des Landes gezogen waren, nachdem sie lange in Nordnorwegen gelebt hatten, und noch zusammen lebten. Vater mit fast schwarzer Haut von dem vielen Sonnenlicht, das er absorbiert hatte, und kugelrund. Er lag in einem Liegestuhl im Garten hinter dem Haus und trank, er saß auf der Veranda vor dem Haus und trank, und abends war er betrunken und trieb gleichsam dahin, nur mit einer kurzen Hose bekleidet stand er in der Küche und briet Koteletts, es war das Einzige, was ich ihn essen sah, keine Kartoffeln, kein Gemüse, nur schwarzgebratene Koteletts. An einem dieser Abende sagte er, der Schriftsteller Jens Bjørneboe habe sich an den Füßen aufgehängt, so habe er sich das Leben genommen, kopfüber unter den Dachbalken hängend. Die Undurchführbarkeit dieser Methode, denn wie hätte er das in dem Haus in Veierland alleine bewerkstelligen sollen, fiel weder ihm noch mir auf. Die rücksichtsvollste Methode, erklärte er, bestehe darin, sich ein Hotelzimmer zu nehmen, dem Krankenhaus einen Brief zu schicken, in dem man mitteilte, wo man gefunden werden konnte, und danach Schnaps zu trinken und Tabletten zu nehmen, sich aufs Bett zu legen und einzuschlafen. Dass ich dieses Thema nie als Ausdruck für etwas anderes als Konversation deutete, war unglaublich, überlegte ich jetzt, während ich mich dem Kiosk hinter der Bushaltestelle näherte, aber so war es. Das Bild, das er von sich hatte, hatte sich mir so sehr eingeprägt, dass ich nie etwas anderes sah, selbst als der Mensch, zu dem er geworden war, grundlegend von dem abwich, der er früher gewesen war, sowohl physiognomisch als auch charakterlich, so dass Ähnlichkeiten kaum mehr erkennbar waren, reagierte ich doch weiterhin auf den Mann, der er einmal gewesen war.
Ich stieg die Holztreppe hinauf und öffnete die Tür zum Kiosk, der abgesehen von einem Verkäufer leer war, zupfte eine Zeitung aus dem Ständer vor der Kasse, schob die Glastür des Kühlschranks zur Seite, holte eine Cola heraus und legte alles auf den Tresen.
»Dagbladet und eine Cola«, sagte der Verkäufer, während er beides an den Strichcodeleser hob. »Sonst noch was?«
Er begegnete meinem Blick, als er das sagte, hatte mit Sicherheit gesehen, dass ich geweint hatte, als ich hereinkam.
»Nein«, antwortete ich. »Das war alles.«
Ich zog einen zusammengeknüllten Geldschein aus der Tasche und betrachtete ihn. Es war ein Fünfziger. Ich strich ihn ein wenig glatt, ehe ich ihn dem Verkäufer reichte.
»Danke«, sagte er. Seine Arme waren stark, aber blond behaart, er trug ein weißes Adidas-T-Shirt, eine blaue Trainingshose, mit Sicherheit auch von Adidas, und sah nicht aus wie jemand, der in einem Kiosk arbeitete, eher wie ein Kumpel, der für ein paar Minuten die Stellung hielt. Ich nahm meine Sachen, drehte mich um und wollte gehen, gleichzeitig kamen zwei etwa zehnjährige Jungs herein, die das Geld schon abgezählt in den Händen hielten. Ihre Fahrräder lagen draußen gegen die Treppe geworfen. Eine Schlange von Autos aus beiden Fahrtrichtungen setzte sich in Bewegung. Am Abend würde ich Mutter anrufen müssen. Und Tonje. Ich ging den Bürgersteig hinunter, überquerte den schmalen Fußweg hinter dem Kiosk und gelangte erneut auf den Kuholmsveien. Natürlich würden wir die Trauerfeier im Haus abhalten. In … sechs Tagen. Dann würde alles fertig sein. Bis dahin mussten wir eine Todesanzeige in die Zeitung setzen, die Beerdigung planen, Gäste einladen, das ganze Haus herrichten, im Garten das Gröbste erledigen, Essen bestellen. Wenn wir früh aufstanden und spät ins Bett gingen und nichts anderes machten, konnte es gelingen. Es kam nur darauf an, Yngve zu überzeugen. Und Gunnar natürlich. Obwohl er nichts zu sagen hätte, was die eigentliche Beerdigung betraf, hatte er doch ein Wörtchen mitzureden, wenn es um das Haus ging. Ach was, das würde schon klappen. Er musste den Grund einfach verstehen.
Als ich in die Küche kam, scheuerte Yngve gerade den Herd mit Stahlwolle. Großmutter saß auf ihrem Stuhl. Ein Spritzer von etwas, das Urin sein musste, bedeckte den Fußboden unter ihm.
»Hier ist deine Cola«, sagte ich. »Ich stelle sie dir auf den Tisch.«
»Tu das«, sagte er.
»Was hast du da in der Tüte?«, erkundigte sich Großmutter und betrachtete die Apothekentüte.
»Das ist was für dich«, antwortete ich. »Mein
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