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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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anfangen sollte. Mir den Fußboden vorzunehmen, bevor wir die Möbel weggebracht hatten, die raus sollten, erschien mir sinnlos, und in den folgenden Tagen würde sowieso dauernd durch das Zimmer getrampelt werden. Fenster- und Türrahmen, Türen und Leisten, Regale, Stühle und Tische abzuwischen, war zu wenig und zu kleinteilig, ich wollte etwas tun, das auffiel. Am besten waren das Bad und die Toilette unten, dort musste jeder Zentimeter geschrubbt werden. Außerdem erschien es mir logisch, da ich ja bereits die Waschküche übernommen hatte, die dem Badezimmer gegenüberlag. Außerdem konnte ich dort allein sein.
    Eine Bewegung zu meiner Linken ließ mich den Kopf drehen. Eine riesige Möwe stand vor dem Fenster und lugte herein. Sie pochte mit dem Schnabel gegen das Glas. Zweimal, blieb stehen.
    »Hast du das gesehen?«, sagte ich laut zu Yngve in der Küche. »Hier hockt eine supergroße Möwe vor dem Fenster und klopft mit dem Schnabel gegen das Glas.«
    Ich hörte Großmutter aufstehen.
    »Wir müssen ihr was zu essen geben«, sagte sie.
    Ich ging zur Türöffnung. Yngve war dabei, die Hängeschränke zu leeren, hatte Gläser und Teller auf der Arbeitsplatte darunter gestapelt. Großmutter stand daneben.
    »Habt ihr die Möwe gesehen?«, sagte ich.
    »Nein«, antwortete Yngve.
    »Sie kommt regelmäßig vorbei«, erklärte Großmutter. »Sie möchte etwas zu essen haben. Deshalb kommt sie. Hier, das kann sie haben.«
    Sie legte eine Frikadelle auf einen kleinen Teller, stand gekrümmt und hager, wobei ihr eine Locke ihrer schwarzen Haare in die Augen fiel, und schnitt die halb von geronnener Sauce überzogene Frikadelle mit schnellen Bewegungen in Stücke.
    Ich folgte ihr ins Wohnzimmer.
    »Sie kommt regelmäßig her?«, sagte ich.
    »Ja, antwortete sie. »Fast täglich. Das macht sie jetzt schon seit etwas mehr als einem Jahr. Und dann bekommt sie immer was, verstehst du. Das hat sie begriffen. Deshalb kommt sie vorbei.«
    »Bist du sicher, dass es immer dieselbe ist?«
    »Ja, natürlich. Den Vogel erkenne ich. Und er erkennt mich.«
    Als sie die Verandatür öffnete, sprang die Möwe auf den Boden und watschelte ganz ohne Angst zu dem Teller, den Großmutter ihr hinstellte. Ich stand im Türrahmen und sah, wie sie sich die Stücke mit dem Schnabel schnappte und den Kopf nach hinten warf, sobald sie den Bissen fest gepackt hatte. Großmutter stand daneben und blickte auf die Stadt hinaus.
    »Na, siehst du«, sagte sie.
    Im Haus klingelte es. Ich wich einen Schritt zurück, so dass ich das Telefon sehen konnte, und vergewisserte mich, dass Yngve an den Apparat ging. Es war ein kurzes Gespräch. Als er auflegte, ging Großmutter an mir vorbei, und die Möwe sprang auf das Geländer, wo sie einige Sekunden sitzen blieb, ehe sie ihre großen Schwingen ausbreitete und sich hinauswarf. Zwei Flügelschläge, und sie war hoch über dem Erdboden. Ich sah ihr hinterher, als sie zum Meer hinunterschwebte. Hinter mir blieb Yngve stehen. Ich schloss die Tür und drehte mich zu ihm um.
    »Er ist auf jeden Fall tot«, sagte er. »Er liegt im Keller des Krankenhauses. Wenn wir wollen, können wir ihn Montagnachmittag sehen. Außerdem habe ich die Telefonnummer des Arztes bekommen, der hier gewesen ist.«
    »Ich glaube es erst, wenn ich ihn sehe«, sagte ich.
    »Das werden wir ja auch«, sagte er.
    Zehn Minuten später stellte ich einen Eimer mit dampfend heißem Wasser, eine Flasche Klorix und eine Flasche Viss auf dem Fußboden vor dem Bad ab. Ich schüttelte den Müllsack, den ich mitgenommen hatte, um ihn zu öffnen, ehe ich anfing, das Bad leerzuräumen. Zuerst alles, was auf dem Fußboden lag; alte eingetrocknete Seifenstücke, klebrige Shampooflaschen, leere Toilettenrollen, eine braun gefleckte Toilettenbürste, Arzneiverpackungen aus Silberpapier und Plastik, ein paar lose Tabletten, die eine oder andere Socke, Lockenwickler. Als das erledigt war, leerte ich den Wandschrank bis auf zwei teuer aussehende Parfumflacons. Rasierklingen, Rasierer, Haarnadeln, mehrere Seifen, alte, eingetrocknete Cremes und Salben, ein Haarnetz, After Shave, Deodorants, Eyeliner, Lippenstifte, ein paar spröde kleine Kissen, deren Verwendung mir unklar war, die aber wahrscheinlich zum Schminken benutzt wurden, und Haare, sowohl kurze, krause, als auch längere glatte, und eine Nagelschere, eine Rolle Pflaster, Zahnseide, Kämme. Als ich das alles aus dem Schrank geholt hatte, blieb auf den Ablagen ein gelbbrauner, relativ dicker Belag

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