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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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zurück, den ich als Letztes wegzuwischen beschloss. Denn die Fliesen neben dem Toilettensitz, wo der Toilettenrollenhalter hing, waren voller blassbrauner Flecken, der Fußboden darunter klebte, und das erschien mir am dringlichsten, so dass ich einen Strich Viss auf die Fliesen spritzte und anfing, sie systematisch zu schrubben, von oben unter der Decke bis zum Fußboden. Erst die rechte Wand, dann die Wand am Spiegel, dann die Wand entlang der Badewanne, und schließlich die Wand an der Tür. Ich schrubbte jede einzelne Fliese, was alles in allem etwa anderthalb Stunden dauerte. Ab und zu kam mir in den Sinn, dass Großvater hier sechs Jahre zuvor in einer Herbstnacht zusammengebrochen war und nach Großmutter gerufen hatte, die einen Krankenwagen holte und bei ihm saß und seine Hand hielt, bis die Ambulanz kam. Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass bis zu diesem Augenblick damals alles wie früher gewesen war. Als Großvater ins Krankenhaus kam, stellte sich heraus, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg schwere innere Blutungen erlitten hatte. Nur ein oder zwei Tage später, und er wäre umgekommen, es war kaum noch Blut in ihm. Er muss gewusst haben, dass etwas nicht stimmte, hatte aber offenbar nicht zum Arzt gehen wollen. Dann kippte er auf dem Badezimmerfußboden um und war dem Tode nahe, und obwohl er rechtzeitig ins Krankenhaus kam und fürs Erste gerettet werden konnte, war er doch so geschwächt, dass er langsam dahinsiechte und schließlich starb.
    Als Kind hatte ich mich vor dem Badezimmer hier unten gefürchtet. Der Spülkasten, der sicher aus den fünfziger Jahren stammte, war von der Sorte, die einen Metallhebel mit einer kleinen schwarzen Kugel an der Seite hatte, verhakte sich immer und rauschte noch lange, nachdem ihn jemand benutzt hatte, und dieses Rauschen, das aus der Dunkelheit der Etage kam, die keiner benutzte, die leer stand, mit ihrem blauen, sauberen Teppichboden, ihrem Kleiderschrank mit den ordentlich aufgehängten Mänteln und Anzügen, ihrer Hutablage mit Großmutters und Großvaters Hüten und ihrem Schuhregal mit Schuhen, die in meiner Fantasie Wesen verkörperten, was für mich damals alle Dinge taten, und ihrer gähnenden Treppe in die obere Etage, erschreckte mich jedes Mal mit solcher Macht, dass ich all meine Überredungskünste einsetzen musste, um meiner Furcht Herr zu werden und das Badezimmer zu betreten. Ich wusste, dass dort keiner war, ich wusste, dass dieses Rauschen nur Rauschen war, die Mäntel nur Mäntel waren, die Schuhe nur Schuhe, die Treppe nur eine Treppe war, aber wahrscheinlich verstärkte dieses Wissen meine Angst nur noch, denn ich wollte mit all dem nicht allein sein, davor fürchtete ich mich, und dieses Gefühl wurde von den toten Nicht-Wesen verstärkt. Ich spürte immer noch Reste dieser Art, die Welt zu erleben. Der Toilettensitz sah aus wie ein Wesen, genau wie das Waschbecken und die Badewanne und der Müllsack, dieser schwarze gierige Magen auf dem Fußboden.
    An diesem speziellen Abend war mein Unbehagen jedoch wieder gegenwärtig, weil Großvater dort umgekippt und am Vortag Vater im Wohnzimmer gestorben war, so dass das Tote an diesen Wesen sich mit dem Toten an ihnen, meinem Vater und meinem Großvater, verband.
    Und wie hielt man sich dieses Gefühl vom Leib?
    Oh, man brauchte nur zu putzen. Scheuern und schrubben und reiben und wischen. Sehen, wie eine Fliese nach der anderen sauber wurde und glänzte. Denken, dass alles, was hier zugesaut worden war, wieder hergerichtet werden würde. Alles. Alles. Und dass ich nie, unter gar keinen Umständen, dort landen würde, wo er gelandet war.
    Als ich Wände und Fußboden geputzt hatte, goss ich das Wasser in die Toilette und zog ab, schälte die gelben Handschuhe von meinen Händen und hängte sie über den Rand des leeren, roten Eimers, wobei ich überlegte, dass ich nicht vergessen durfte, möglichst bald eine neue Toilettenbürste zu kaufen. Falls es in der anderen Toilette keine gab. Ich öffnete die Tür zu ihr. Tatsächlich, da stand eine. Die mussten wir fürs Erste benutzen, egal, in welchem Zustand sie war, und am Montag dann eine neue kaufen. Auf dem Weg zur Treppe blieb ich stehen. Die Tür zu Großmutters Zimmer stand einen Spaltbreit offen, und aus irgendeinem Grund ging ich hin, schob sie auf und schaute hinein.
    Oh nein.
    In ihrem Bett lag kein Laken auf der Matratze, sie lag direkt auf der großen, von Urinflecken übersäten Oberfläche. Eine Art Toilettenstuhl stand mit

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