Sterben: Roman (German Edition)
passiert war, mit der Zeit rasch größer werden würde; tat ich es dagegen sofort, solange ich dem Ganzen noch relativ nahe war, würde ich meine Zweifel und die Scham überwinden können. Das Problem, erkannte ich augenblicklich, bestand darin, dass alles Positive außerhalb der Reichweite unseres Tonbandgeräts geschehen war. Ich löste es, indem ich schrieb, wie es gewesen war, alles wiedergab, welchen Eindruck wir am Anfang von ihm gewonnen hatten, wie murmelnd und introvertiert er gewesen war, der Stimmungsumschwung, der Apfelkuchen, die Bibliothek. Espen schrieb eine Einführung in Hauges Werk und fügte mehrere kleine, analysierende Passagen ein, die einen schönen Kontrast zu dem bildeten, was sich ansonsten ereignet hatte. Der Redakteur von TAL , der Philosophiestudent, Johannesen-Jünger und Neu-Norwegisch-Verfechter Hans Marius Hansteen, teilte uns mit, der Text habe Hauge gut gefallen; zu Georg Johannesen habe er gesagt, es sei eines der besten Interviews, die je mit ihm gemacht worden seien, was sicher nicht stimmte, wir waren zwanzig, und bei Hauges Urteilen über andere genoss die Höflichkeit stets Vorrang vor der Wahrhaftigkeit, aber was ihm gefallen und seine Frau dazu veranlasst hatte, anzurufen und um weitere Exemplare zu bitten, damit sie diese Freunden und Bekannten schenken konnten, war wohl, wie ich nach meiner späteren Lektüre seiner Tagebücher dachte, dass es ein Bild von ihm zeichnete, das nicht ausschließlich schmeichelhaft war. Das Feindselige und Greisenhafte war ihm natürlich bewusst, aber im Respekt, den die Leute vor ihm hatten, verschwand diese Seite seiner Persönlichkeit stets, was ihm, so wahrheitsliebend, wie er war, weit hinter allen Schichten von Höflichkeit und Anstand, nicht immer gefallen haben dürfte.
Ein halbes Jahr später war Kjartan Fløgstad an der Reihe. Das Interview mit Hauge habe er gelesen, sagte er, als ich ihn anrief, er sei gerne bereit, sich von TAL interviewen zu lassen. Wäre ich allein gewesen, hätte ich aus Nervosität und Respekt alle seine Bücher gelesen, penibel genügend Fragen für ein mehrstündiges Gespräch notiert und jedes Wort auf Band aufgenommen, denn selbst wenn meine Fragen möglicherweise dumm waren, würden seine Antworten es nicht sein, und hatte ich sie anschließend auf Band, würde sein Ton das ganze Interview tragen, egal, wie unzulänglich meine Stichworte gewesen waren. Aber da Yngve mich begleiten würde, war ich weniger nervös und verließ mich auf ihn, las nicht alle Bücher, notierte mir etwas allgemeinere Fragen, wobei ich auch Rücksicht auf die Beziehung zwischen Yngve und mir nahm, denn ich wollte nicht oberlehrerhaft wahrgenommen werden, wollte nicht, dass er dachte, ich würde glauben, ich könnte so etwas besser als er, und als wir nach Oslo fuhren und uns mit Fløgstad trafen, es war ein grauer Spätwintertag, Ende März oder Anfang April, vor einem Café im Stadtteil Bjølsen, war ich schlechter vorbereitet, als ich es in einer solchen Situation je zuvor gewesen war, sowohl früher als auch später, und zu allem Überfluss hatten Yngve und ich beschlossen, weder ein Diktier- noch ein Tonbandgerät zu benutzen und uns während des Interviews auch keine Notizen zu machen, denn das hätte es steif und formell gemacht, hatten wir uns überlegt, und wir strebten eher ein Gespräch an, impressionistisch, etwas, das im Vorbeigehen entstand. Mein Erinnerungsvermögen war nicht der Rede wert, aber Yngve hatte ein Elefantengedächtnis, und wenn wir, so unser Plan, unmittelbar danach niederschreiben würden, was gesagt worden war, würden wir unsere Gedächtnislücken gegenseitig füllen können und so, gemeinsam, die Gesamtheit erfassen. Fløgstad führte uns höflich ins Café, das vom schummrigen, kneipenhaften Schlage war, und wir setzen uns an einen runden Tisch, hängten unsere Jacken über die Stuhlrücken und holten die Blätter mit unseren Fragen heraus, und als wir sagten, dass wir beabsichtigten, das Interview ohne Notizen oder Tonbandgerät zu führen, meinte Fløgstad, er respektiere das. Er sei einmal von der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter interviewt worden, von einem Journalisten, der sich keine Notizen gemacht habe, und sei tadellos wiedergegeben worden, was ihn beeindruckt habe. Während des Gesprächs war ich genauso konzentriert auf das, was Yngve sagte, wie auf Fløgstads Reaktionen, sowohl auf seine Antworten, den Tonfall seiner Stimme und die Körpersprache, als auch auf den Inhalt des
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