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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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für sie das Größte, und sie verlangen nichts als die allereinfachsten Dinge, die für sie voller Abenteuer sind: ein Spaziergang in den Westhafen an einem sonnigen Tag, erst durch den Park, wo ein Stapel Baumstämme ausreicht, um sie eine halbe Stunde zu beschäftigen, danach an den Segelbooten im Hafen vorbei, für die sie großes Interesse entwickeln, anschließend Mittagessen auf einer der Treppen am Meer, wo wir unsere Panini aus dem italienischen Café essen, denn an Proviant haben wir natürlich nicht gedacht, und danach eine Stunde, in der sie nur herumlaufen und spielen und lachen, Vanja mit dem für sie typischen baumelnden Laufstil, den sie schon mit anderthalb hatte, Heidi mit ihren eifrigen, stapfenden Schritten, immer zwei Meter hinter ihrer großen Schwester und allzeit bereit, die seltenen Geschenke von Gemeinschaft anzunehmen, die sie von ihr bekommen kann, bis wir denselben Weg zurück nehmen. Wenn Heidi im Wagen einschläft, setzen wir uns mit Vanja in ein Café, die diese Augenblicke liebt, in denen sie uns für sich hat, und mit ihrer Limonade am Tisch sitzt und drauflos plappert und uns alles Mögliche fragt, zum Beispiel, ob der Himmel festsitzt oder ob etwas den Herbst aufhalten kann oder Affen ein Skelett haben. Auch wenn die Freude, die ich dann zuweilen empfinde, nicht unbedingt überwältigend ist, sondern eher Zufriedenheit und Ruhe ähnelt, ist es doch eindeutig Freude. Vielleicht sogar, in besonderen Augenblicken, Glück. Und ist das nicht genug? Ist das nicht genug? Doch, wenn Glück das Ziel gewesen wäre, dann wäre es genug. Aber Glück ist nicht mein Ziel, ist noch nie mein Ziel gewesen, was soll ich damit? Auch die Familie ist nicht mein Ziel. Wäre sie es gewesen und ich könnte ihr all meine Zeit und überschüssige Energie widmen, würden wir ein fantastisches Leben führen, davon bin ich überzeugt. Dann hätten wir irgendwo in Norwegen leben können und wären im Winter Ski und Schlittschuh gelaufen, mit Broten und einer Thermoskanne im Rucksack, wären im Sommer mit dem Boot hinausgefahren, hätten gebadet, gefischt, gecampt, hätten mit anderen Familien im Ausland Urlaub gemacht, hielten Ordnung zu Hause, hätten Zeit darauf verwendet, wohlschmeckende Mahlzeiten zuzubereiten und glücklich und fröhlich Zeit mit Freunden zu verbringen. Nun ja, das hört sich jetzt an wie eine Karikatur, aber ich sehe täglich Familien, die es schaffen, dass ihr Leben mit Kindern so funktioniert. Die Kinder sind sauber, ihre Kleider hübsch, die Eltern gut gelaunt, und wenn sie ausnahmsweise mal die Stimme erheben, schreien sie ihre Kinder niemals an wie Idioten. An den Wochenenden machen sie Ausflüge, im Sommer mieten sie Häuser in der Normandie, und ihr Kühlschrank ist niemals leer. Sie arbeiten in der Bank oder im Krankenhaus, in IT-Firmen oder in der Stadtverwaltung, am Theater oder an der Universität. Warum soll die Tatsache, dass ich Schriftsteller bin, mich von dieser Welt ausschließen? Warum soll der Umstand, dass ich schreibe, dazu führen, dass unsere Kinderwagen allesamt aussehen wie etwas, das wir auf einer Müllhalde gefunden haben? Warum soll mein Schreiben dafür verantwortlich sein, dass ich mit irren Augen und einem Gesicht, das zu einer grotesken Fratze der Frustration erstarrt ist, in den Kindergarten komme? Warum soll mein Schreiben dazu führen, dass die Kinder ganz auf ihren eigenen Willen setzen, egal, welche Konsequenzen das hat? Woher kommt all diese Wirrnis in unserem Leben? Ich weiß, dass ich sie ausradieren kann, ich weiß, dass auch wir eine solche Familie werden können, aber dazu müsste ich es wollen, und anschließend müsste sich alles nur noch um dieses Leben drehen. Und das will ich nicht. Für die Familie tue ich alles, was ich tun muss, das ist meine Pflicht. Wenn mich das Leben eins gelehrt hat, dann es zu ertragen, es nie in Frage zu stellen, und die Sehnsucht, die dadurch entsteht, in meinem Schreiben zu verbrennen. Woher dieses Ideal kommt, ist mir schleierhaft, und wenn ich es schwarz auf weiß vor mir sehe, erscheint es mir fast pervers: warum Pflicht vor Glück? Die Frage des Glücks ist banal, was jedoch nicht für die nachfolgende Frage gilt, die nach dem Sinn. Mir kommen die Tränen, wenn ich ein schönes Gemälde sehe, jedoch nicht, wenn ich meine Kinder sehe. Das heißt nicht, dass ich sie nicht liebe, denn das tue ich, von ganzem Herzen, es bedeutet nur, dass der Sinn, den sie schenken, kein Leben ausfüllen kann. Jedenfalls nicht

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