Sterben: Roman (German Edition)
meins. Bald bin ich vierzig, und wenn ich vierzig bin, bald fünfzig. Bin ich fünfzig, bald sechzig. Bin ich sechzig, bald siebzig. Und das wird es dann gewesen sein. Dann könnte meine Grabinschrift lauten: Der hier liegt, blieb immer im Lot. Das brachte ihm am Ende den Tod. Oder vielleicht lieber:
Hier ruht ein Mensch, der sich in alles fand
und dessen Leben so zerrann wie Sand.
Seine letzten Worte, bevor es krachte
Und der Tod ihm den Garaus machte,
lauteten, o Herr, es ist so kühl hier,
reicht mir mal jemand des Lebens Elixier?
Oder vielleicht doch lieber:
Hier ruhet ein Schriftsteller,
wenn man so will, ein Prachtstück,
doch zum Lachen ging er in den Keller,
und er kannte kein Glück.
Einst war sein Mund wortreich
Jetzt ist er voller Erdreich.
Kommt ihr Larven, kommt ihr Maden,
sorgt für Schwung in diesem Laden.
Könnt hier ruhig ein Auge essen,
wird man wohl einfach vergessen,
lang ist’s her, dass sie gesehen haben.
Aber wenn noch dreißig Jahre vor mir liegen, ist natürlich nicht gesagt, dass ich derselbe bleibe. Also vielleicht lieber etwas in dieser Art?
Von uns allen für dich, großer Gott,
bekommst du ihn mit allem Schrott,
Karl Ove Knausgård ist endlich tot,
lang genug aß er von unserem Brot.
Er schlug die Hand seiner Freunde aus,
Um in Ruhe zu schreiben in seinem Haus,
er wichste und schrieb, aber es wollte nichts gelingen,
es fehlte ihm ein Stil, und so musste er weiter ringen.
Dann aß er einen Keks, dann noch mehr.
Dann aß er Kartoffeln, bis der Topf war leer.
Dann nahm er ein Schwein und briet es am Stück,
verspeiste es und rülpste Heil Glück!
Ein Nazi bin ich nicht, aber ich liebe das Braune.
Deshalb sind es Runen, die fortan ich raune!
Oder vielleicht eine etwas weniger persönliche?
Hier ruhen ein Mann, der im Bett gern schmauchte,
und seine Frau, die gleich mit verrauchte.
Das heißt,
das hier sind nicht die beiden,
sondern Asche, die auf der Wiese auftauchte.
ALS MEIN VATER IM GLEICHEN ALTER WAR wie ich heute, gab er sein altes Leben auf und fing ein neues an. Ich war damals sechzehn und ging in die erste Klasse von Kristiansands Kathedralschule. Am Anfang des Schuljahrs waren meine Eltern noch verheiratet, und falls sie Probleme hatten, ließen sie es mich nicht merken, so dass ich nicht ahnte, in welche Richtung sich ihre Beziehung entwickeln würde. Damals wohnten wir in dem Dorf Tveit, zwanzig Kilometer von Kristiansand entfernt, in einem alten Haus am hintersten Rand der Bebauung in diesem Tal. Es lag hoch, hatte den Wald im Rücken und vorne Blick auf den Fluss. Auf dem Grundstück standen außerdem noch eine große Scheune und ein Schuppen. Als wir dorthin zogen, in dem Sommer war ich dreizehn, hatten meine Eltern Hühner gekauft, ich glaube, sie blieben ein halbes Jahr, ehe sie wieder verschwanden. Auf einem Ackerstreifen neben dem Rasen setzte Vater Kartoffeln, und unterhalb des Gemüsegartens lag die Muttererde, die angeliefert worden war. Einer der vielen Berufe, die mein Vater nannte, wenn er darüber fabulierte, etwas anderes zu machen, war Gärtner, und er besaß tatsächlich ein gewisses Talent dafür – der Garten rund um das Haus in der Siedlung, aus der wir kamen, war üppig und nicht ohne exotische Elemente wie beispielsweise ein Pfirsichbaum gewesen, den mein Vater an der Sonnenseite des Hauses gepflanzt hatte und auf den er maßlos stolz war, als er tatsächlich Früchte trug – so dass der Umzug aufs Land damals voller Optimismus und Zukunftsglaube geschah, in die sich langsam, aber sicher Ironie mischte, denn zu den wenigen konkreten Dingen, die mir aus dem Leben meines Vaters in jenen Jahren im Gedächtnis geblieben sind, gehört eine Bemerkung, die er fallenließ, als wir an einem Sommerabend im Garten am Tisch saßen und grillten, er und Mutter und ich.
»Wisst ihr was, jetzt geht es uns so richtig prima!«
Die Ironie war simpel, selbst ich hörte sie heraus, aber auch kompliziert, weil ich den Grund für sie nicht verstand. Für mich war ein solcher Abend wirklich klasse. Die Bedeutung der Ironie lief wie eine Unterströmung durch den restlichen Sommer: Wir gingen vom frühen Morgen an im Fluss schwimmen, wir spielten Fußball auf schattigen Brachen, wir radelten zum Campingplatz Hamresanden und badeten und beobachteten Mädchen, und im Juli fuhren wir zum Norway Cup, wo ich mich zum ersten Mal betrank. Jemand kannte jemanden, der eine Wohnung hatte, und jemand kannte jemanden, der für uns Bier kaufen konnte, und dann saß ich dort und trank an
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