Sterben: Roman (German Edition)
einem Sommernachmittag in einem fremden Wohnzimmer, und es war wie eine Explosion der Freude, nichts war mehr schlimm oder es auch nur wert, sich deswegen Sorgen zu machen, ich lachte und lachte nur noch, und mitten in all dem, den fremden Möbeln, den fremden Mädchen, dem fremden Garten draußen, dachte ich, so will ich es haben. Genau so. Einfach nur lachen und lachen und allen Einfällen folgen, die mir in den Sinn kommen. Es existieren zwei Fotos von mir, die mich an jenem Abend zeigen, auf dem einen liege ich in einem Gewimmel von Körpern mitten im Zimmer und halte einen Totenschädel in der Hand, während mein Kopf fast ohne Verbindung zu meinen Händen und Füßen zu sein scheint, so wie er dort auf der anderen Seite, das Gesicht zu einer freudestrahlenden Grimasse verzogen, herauslugt. Auf dem zweiten Bild bin nur ich zu sehen, ich liege auf einem Bett und halte eine Bierflasche in der einen Hand und in der anderen den Totenschädel über meinen Schritt, ich trage eine Sonnenbrille, mein Mund steht vor Lachen weit offen. Das war im Sommer 1984, ich war fünfzehn und hatte etwas entdeckt: Trinken war fantastisch.
In den nächsten Wochen ging mein Kinderleben weiter wie zuvor, wir lagen auf den Felsen unter dem Wasserfall und dösten, sprangen ab und zu in den Kolk, nahmen am Samstagvormittag den Bus in die Stadt, wo wir Süßigkeiten kauften und in Plattengeschäfte gingen, wobei die Erwartungen an das Gymnasium, in das ich nun bald gehen würde, stets unterschwellig mitschwangen. Es war nicht die einzige Veränderung in unserer Familie: Meine Mutter hatte sich von ihrer Arbeit an der Fachschule für Krankenpflege beurlauben lassen und wollte noch in diesem Jahr mit einem Studium in Bergen beginnen, wo Yngve bereits wohnte. Geplant war folglich, dass mein Vater und ich dort oben in Tveit alleine wohnen sollten, was wir in den ersten Monaten auch taten, bis er mir eines Tages vorschlug, höchstwahrscheinlich, um mich loszuwerden, dass ich in dem Haus wohnen könnte, das meine Großeltern in der Elvegaten besaßen und in dem Großvater all die Jahre seine Kanzlei als Wirtschaftsprüfer gehabt hatte. Alle meine Freunde wohnten in Tveit und die neuen Schulkameraden, die ich im Gymnasium kennen gelernt hatte, kannte ich meines Erachtens noch nicht gut genug, um nach der Schule Zeit mit ihnen zu verbringen. Wenn ich nicht trainierte, was ich damals fünfmal die Woche tat, saß ich deshalb alleine im Wohnzimmer und sah fern, machte meine Hausaufgaben am Schreibtisch im Dachgeschoss oder lag auf dem Bett daneben und las, während ich Musik hörte. Ab und zu fuhr ich nach Sannes, so der Name unseres Hauses, um Kleider oder Kassetten oder Bücher zu holen, und manchmal übernachtete ich dort auch, aber ich bevorzugte die Wohnung meiner Großeltern, denn unser Haus hatte etwas Kaltes bekommen, was vermutlich daran lag, dass dort nichts mehr gemacht wurde: Mein Vater aß meistens außer Haus und erledigte daheim nur ein Minimum an Hausarbeit. Dies lagerte sich in der Aura des Hauses ab, und als es auf Weihnachten zuging, wirkte es zunehmend verlassen. Kleine eingetrocknete Klümpchen Katzenkot lagen auf der Couch vor dem Fernseher in der ersten Etage, alter Abwasch stand in der Küche in der Spüle, mit Ausnahme eines Heizstrahlers, den er in das jeweilige Zimmer mitnahm, in dem er sich gerade aufhielt, waren alle Heizkörper abgedreht. Er selbst war innerlich zerrissen. Als ich eines Abends, es muss Anfang Dezember gewesen sein, hinkam und die Tasche in meinem eiskalten Zimmer abgestellt hatte, begegnete ich ihm im Flur. Er kam aus der Scheune, in deren unteren Teil eine Wohnung eingerichtet worden war, und seine Haare waren ungekämmt und seine Augen finster.
»Können wir nicht die Heizung aufdrehen?«, sagte ich. »Hier ist es so kalt.«
»Aufthehen?«, sagte er. »Hier wird verdammt nochmal nichts aufgetheht.«
Ich konnte kein R sprechen, hatte das R noch nie aussprechen können, es war eines meiner Traumata in dieser letzten Phase meiner Kindheit. Mein Vater äffte mich häufig nach, wenn er mir vor Augen führen wollte, dass ich den Buchstaben nicht aussprechen konnte, um so den wenig hilfreichen Versuch zu machen, mich dazu zu bewegen, mich zusammenzureißen und R zu sagen, wie anständige Südnorweger es taten, oder wenn ihm an mir, wie jetzt, etwas nicht passte.
Ich drehte mich bloß um und stieg wieder die Treppe hinauf. Die Freude, Tränen in meinen Augen zu sehen, gönnte ich ihm nicht. Die Scham
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