Sterben: Roman (German Edition)
ich, so lachen.
Das Licht am Himmel über der Bergkuppe jenseits der Straße, das sich durch den Widerschein der Küche hindurch, in dem wir drei submarinen Geschöpfen ähnelten, nur mit Mühe erahnen ließ, war graublau. Dunkler würde die Nacht nicht werden. Yngve sprach mittlerweile eine Spur undeutlicher. Wer ihn nicht kannte, hätte es nicht bemerkt. Aber mir fiel es auf, denn es war immer das Gleiche, wenn er trank; erst sprach er ein bisschen undeutlich, dann immer nuschelnder, bis er gegen Ende seines Rauschs, unmittelbar bevor bei ihm die Lichter ausgingen, kaum noch zu verstehen war. Bei mir war die Unklarheit, die mit dem Rausch einherging, vor allem ein inneres Phänomen, sie artikulierte sich fast nur dort, was ein Problem war, denn wenn man mir nicht ansah, wie grenzenlos betrunken ich war, da ich fast redete wie immer, gab es später auch keine Entschuldigung für alles, was mir an Worten und Handlungen so herausrutschte. Außerdem nahm das Wilde dadurch an Fahrt auf, da der Vollrausch nicht von Schlaf oder Koordinationsproblemen gestoppt wurde, sondern einfach weiterging ins Nackte, Leere, Primitive hinein. Ich liebte das, ich liebte das Gefühl, es war mein bestes Gefühl, aber es führte nie zu etwas Gutem, und am nächsten Tag, oder an den nächsten Tagen, war es genauso eng mit Distanzlosigkeit wie mit Dummheit verbunden, was ich inständig hasste. Solange ich dort war, gab es jedoch weder Zukunft noch Vergangenheit, nur den Augenblick, und gerade deshalb wollte ich so gerne dort sein, denn in ihrer ganzen unerträglichen Banalität strahlte meine Welt.
Ich drehte mich um und warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war fünf Minuten nach halb zwölf. Dann sah ich Yngve an. Er sah müde aus. Die Augen waren schmal und an den Rändern ein wenig gerötet. Sein Glas war leer. Hoffentlich wollte er nicht ins Bett gehen! Alleine konnte ich nicht mit Großmutter zusammensitzen.
»Willst du noch was?«, sagte ich und nickte in Richtung der Flasche auf dem Tisch.
»Weiß nicht, vielleicht noch ein Glas«, sagte er. »Aber das soll dann auch das letzte sein. Wir müssen morgen früh raus.«
»Aha?«, sagte ich. »Und warum?«
»Erinnerst du dich nicht mehr, dass wir um neun einen Termin haben?«
Ich schlug mir an die Stirn, eine Geste, die ich sicher seit dem Gymnasium nicht mehr gemacht hatte.
»Das wird schon gehen«, erklärte ich. »Wir müssen ja nur da sein.«
Großmutter sah uns an.
Hoffentlich fragt sie jetzt nicht, wohin wir wollen, dachte ich. Das Wort Bestatter würde den Zauber mit Sicherheit brechen. Und dann säßen wir hier wieder als eine Mutter, die ihren Sohn, und als zwei Kinder, die ihren Vater verloren hatten.
Sie zu fragen, ob sie noch etwas trinken wollte, wagte ich allerdings nicht. Es gab eine Grenze, die mit Anstand zu tun hatte und längst überschritten worden war. Ich nahm die Flasche und schenkte erst Yngve und anschließend mir selbst ein. Als ich das getan hatte, begegnete ich jedoch ihrem Blick.
»Möchtest du auch noch ein Glas?«, hörte ich mich sagen.
»Ein kleines, vielleicht«, antwortete sie. »Es ist ja schon spät.«
»Ja, es ist spät auf Erden«, sagte ich.
»Was hast du gesagt?«, wollte sie wissen.
»Er hat gesagt, dass es spät auf Erden ist«, sagte Yngve. »Das ist ein bekanntes Zitat.«
Warum sagte er das so? Wollte er mich zurechtweisen? Ach, egal, es war ja auch wirklich idiotisch, so etwas zu sagen. »Spät auf Erden …«
»Karl Ove wird bald ein Buch veröffentlichen«, sagte Yngve.
»Wirklich?«, sagte Großmutter.
Ich nickte.
»Jetzt, wo du es sagst, habe ich wohl schon davon gehört. Was meinst du, hat Gunnar mir davon erzählt? Du und du. Ein Buch, du.«
Sie hob das Glas an den Mund und trank. Ich auch. War es Einbildung, oder hatten sich ihre Augen wieder verfinstert?
»Dann habt ihr im Krieg also nicht hier gewohnt?«, sagte ich und trank noch einen Schluck.
»Nein, erst nach dem Krieg, ein, zwei Jahre später sind wir hierher gezogen. Im Krieg wohnten wir da draußen«, sagte sie und zeigte hinter sich.
»Wie war es eigentlich?«, sagte ich. »Im Krieg, meine ich?«
»Ach, weißt du, es war fast so wie sonst auch. Es war ein bisschen schwieriger, Essen zu beschaffen, aber ansonsten gab es keine großen Unterschiede. Die Deutschen waren ganz normale Menschen wie wir. Ein paar von ihnen haben wir kennen gelernt. Nach dem Krieg sind wir runtergefahren und haben sie besucht.«
»In Deutschland?«
»Ja, ja. Und als sie im Mai
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