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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Soweit ich wusste, war Großmutter zunächst mit Großvaters älterem Bruder Alf zusammen gewesen. Diese beiden waren anfangs ein Paar gewesen. Die Brüder studierten damals beide in Oslo, Alf Naturwissenschaften und Großvater Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Ende ihrer Beziehung zu Alf hatte Großmutter Großvater geheiratet und war nach Kristiansand gezogen, was auch Alf getan hatte, inzwischen jedoch verheiratet mit Sølvi. Sie hatte in ihrer Jugend an Tuberkulose gelitten und war ihr Leben lang kränklich geblieben, die beiden hatte keine Kinder bekommen können, so dass sie in einem relativ hohen Alter ein Mädchen aus Asien adoptierten. Alf mit Familie und Großmutter und Großvater mit Familie waren die Menschen, zu denen ich als Kind den meisten Kontakt hatte und die uns besuchten, und dass Alf und Großmutter einmal zusammen gewesen waren, wurde oft erwähnt, es war kein Geheimnis, und als Großvater und Sølvi tot waren, trafen sich Großmutter und Alf einmal in der Woche, jeden Samstagvormittag ging sie ihn in seinem Haus in Grim besuchen, was keiner merkwürdig fand, worüber manch einer jedoch gutmütig schmunzelte: Wären die beiden vielleicht doch eigentlich füreinander bestimmt gewesen?
    Nun erzählte Großmutter von ihrer ersten Begegnung mit den beiden Brüdern. Alf war extrovertierter, Großvater eher introvertiert gewesen, aber beide hatten sich unübersehbar für das Mädchen aus Åsgårdstrand interessiert, denn als Großvater sah, worauf es bei seinem Bruder hinauslief, der sie mit seinem Humor und Witz becircte, sagte er leise zu ihr: Er hat den Ring in der Tasche!
    Großmutter lachte, als sie es erzählte:
    »›Was hast du gesagt?‹«, fragte ich, obwohl ich ihn durchaus verstanden hatte. Er hat den Ring in der Tasche! , sagte er noch einmal. ›Was für einen Ring?‹, wollte ich wissen. Den Verlobungsring! , antwortete er daraufhin, wisst ihr. Er dachte, ich hätte es nicht kapiert!«
    »War Alf denn damals schon mit Sølvi verlobt?«, sagte Yngve.
    »Ja, sicher. Aber wisst ihr, sie wohnte doch in Arendal und war so kränklich. Er rechnete nicht damit, dass es auf Dauer sein würde. Aber dann wurden sie am Ende doch noch ein Paar!«
    Sie nahm einen neuerlichen Schluck aus dem Glas. Leckte sich hinterher die Lippen. Es entstand eine Pause, und sie fiel in sich zusammen, wie sie es in den letzten beiden Tagen so oft getan hatte. Die Hände übereinandergelegt stierte sie vor sich hin. Ich leerte mein Glas und goss mir einen neuen Drink ein, zog ein Zigarettenblättchen heraus, legte einen Streifen Tabak hinein, zupfte ein wenig daran, um einen möglichst guten Zug zu bekommen, rollte das Papier mehrmals, presste dann das eine Ende herunter und schloss es, leckte am Kleber, riss die Tabakfäden ab, legte sie in den Beutel zurück, steckte mir die leicht krumme Selbstgedrehte in den Mund und zündete sie mit Yngves grünem, halb durchsichtigen Feuerzeug an.
    »In dem Winter, in dem Großvater gestorben ist, wollten wir in den Süden«, sagte Großmutter. »Wir hatten schon gebucht und alles.«
    Ich sah sie an, während ich den Rauch ausblies.
    »Wisst ihr, in jener Nacht, in der er im Badezimmer umgekippt ist … Ich hörte nur ein Poltern und stand auf, und dann lag er da auf dem Fußboden und sagte, ich müsse einen Krankenwagen rufen. Nachdem ich das getan hatte, hielt ich seine Hand, während wir darauf warteten, dass der Krankenwagen kam. Da sagte er, Wir reisen trotzdem in den Süden . Und ich dachte, Du kommst bestimmt in einen anderen Süden!«
    Sie lachte, sah dabei aber nach unten.
    » Du kommst bestimmt in einen anderen Süden!«, wiederholte sie.
    Es blieb lange still.
    »Ohh«, sagte sie dann. »Das Leben ist ein Gampf, sagte die Alte, denn sie konnte das K nicht sprechen.«
    Wir grinsten. Yngve verschob sein Glas ein wenig, schaute auf den Tisch hinunter. Ich wollte nicht, dass sie an Großvater oder Vaters Tod dachte und versuchte dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, indem ich daran anknüpfte, worüber sie vorher gesprochen hatte.
    »Aber ihr seid nicht direkt hierhergezogen, als ihr nach Kristiansand gegangen seid?«, fragte ich.
    »Oh, nein«, sagte sie. »Wir wohnten weiter draußen am Kuholmsveien. Das Haus hier haben wir erst nach dem Krieg gekauft. Na ja, im Grunde haben wir nur das Grundstück gekauft. Es war ein schönes Grundstück, eins der besten im Stadtteil Lund, denn wir hatten ja eine Aussicht, wisst ihr. Auf das Meer und die Stadt. Und es lag so

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