Sterben: Roman (German Edition)
Leute gesehen, in denen es steckte, in meiner Klasse vielleicht vor allem Tone, die mühelos alles Mögliche zeichnen konnte, den Baum auf dem Platz vor dem Fenster, das Auto, das dahinter parkte, den Lehrer, der vor der Tafel stand. Als wir uns für ein Wahlfach entscheiden sollten, hatte ich Lust, Form und Farbe zu nehmen, aber da ich wusste, dass die anderen Schüler zeichnen konnten , es in sich hatten, ließ ich es bleiben. Stattdessen wählte ich Filmkunde. Der Gedanke daran belastete mich manchmal, denn ich wollte doch so gerne Jemand, etwas Besonderes sein.
Ich stand auf, stellte die Gitarre in das Stativ, schaltete den Verstärker aus und ging ins Erdgeschoss hinunter, wo Mutter bügelte. Die Lichtkreise um die Lampen über der Tür und auf der Scheunenwand draußen waren beinahe zugeschneit.
»Was für ein Wetter!«, sagte ich.
»Das kannst du wohl laut sagen«, erwiderte sie.
Als ich in die Küche ging, fiel mir ein, dass ein Räumfahrzeug vorbeigekommen war. Es war vielleicht das Beste, den neuen Schnee wegzuschaufeln, bevor sie kamen.
Ich drehte mich zu Mutter um.
»Ich glaube, ich geh was Schnee schippen, bevor sie kommen«, sagte ich.
»Schön«, sagte sie. »Kannst du bitte auch die Fackeln anzünden, wenn du schon draußen bist? Sie liegen in der Garage, in einer Tüte auf der Mauer.«
»Mache ich. Hast du ein Feuerzeug?«
»In der Tasche.«
Ich zog mich an, ging hinaus, öffnete das Garagentor und holte die Schneeschaufel, wickelte den Schal um mein Gesicht und lief zur Kreuzung hinunter. Obwohl ich dem fallenden Schnee, der über den Acker heranwehte, den Rücken zuwandte, stach es in den Augen und auf den Wangen, als ich anfing, den Haufen aus Neuschnee und alten Schneeklumpen fortzuschaufeln. Ein paar Minuten später hörte ich fern und gedämpft, wie aus einem Zimmer kommend, einen Knall und hob gerade noch rechtzeitig den Kopf, um etwas von dem Licht einer kleinen Explosion in der Tiefe der stürmischen Dunkelheit zu sehen. Tom und Per und ihr Vater hatten offenbar eine der Raketen getestet, die sie gekauft hatten. Während es sie mit Leben erfüllte, machte es mich nur leer, denn das kurze Aufglühen hatte nur den Effekt, die nachfolgende Ereignislosigkeit noch zu betonen. Kein Auto, kein Mensch, nur der schwarze Wald, der wehende Schnee, das regungslose Band aus Licht entlang der Straße. Die Dunkelheit im Tal darunter. Das Schaben des Leichtmetalls der Schaufel über die fast steinharten Schollen aus zusammengepresstem Schnee, mein eigener Atem, noch verstärkt durch den Schal, der festgezurrt auf Mütze und Ohren lag.
Als ich fertig war, kehrte ich zur Garage zurück, setzte die Schaufel ab, fand die vier Fackeln in der Tüte und zündete sie nacheinander in der Dunkelheit an, was mir durchaus Freude bereitete, denn die Flammen waren so sanft, und das Blau in ihnen hob und senkte sich, je nachdem, wohin der Luftzug sie trieb. Ich überlegte einen Moment, wo ich sie am besten platzieren könnte, und beschloss, dass zwei auf der Eingangstreppe und zwei auf der Krone der Mauer vor der Scheune stehen sollten.
Ich hatte sie gerade aufgestellt und die zwei auf der Mauer mit einem kleinen schützenden Schneewall dahinter versehen und das Garagentor geschlossen, als ich in der Kurve unterhalb des Hauses einen Wagen näherkommen hörte. Ich öffnete erneut das Garagentor und eilte ins Haus, denn es ging darum, ganz fertig zu sein, bevor sie kamen, und dass nichts von meinen Aktivitäten der letzten Minuten mehr erkennbar war. Dieser kleine Zwangsgedanke wurde so übermächtig, dass ich im Badezimmer schnell nach einem Handtuch griff und meine Winterschuhe damit abtrocknete, damit sie nicht vom frischen Schnee bedeckt im Flur standen, und die restlichen Sachen, also Jacke, Mütze, Schal und Handschuhe, oben in meinem Zimmer auszog. Als ich wieder herunterkam, stand das Auto im Leerlauf auf dem Hof, die roten Rücklichter leuchteten, Großvater wartete, die Hand auf die Autotür gelegt, während Großmutter ausstieg.
Wenn ich allein zu Hause war, hatte jedes Zimmer seinen eigenen Charakter, und auch wenn die Räume mir nicht unbedingt feindlich gesinnt waren, öffneten sie sich mir doch auch nicht. Es kam mir eher so vor, als wollten sie sich mir nicht unterordnen, sondern eigenständig mit ihren ganz entschlossenen Wänden, Böden, Decken, Leisten und den irgendwie gähnenden Fenstern existieren. Was ich wahrnahm, war das Tote an den Räumen, es widersetzte sich mir, und zwar nicht der
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