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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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lag.
    »Ich mache euch erst mal einen Kaffee«, sagte Mutter und stand auf. Die Stille, die sich nach ihrem Verschwinden im Raum einstellte, lastete auf mir.
    »Erling ist in Trondheim?«, sagte ich.
    »Das ist er«, bestätigte Großmutter. »Sie wollen es sich heute Abend gemütlich machen.«
    Sie trug ein blaues, nach Seide aussehendes, auf der Brust schwarz gemustertes Kleid. Weiße Perlen in den Ohren, eine Goldkette um den Hals. Ihre Haare waren dunkel, höchstwahrscheinlich gefärbt, obwohl ich mir nicht sicher war, denn warum hatte sie dann die graue Locke über der Stirn nicht gefärbt? Sie war nicht dick, auch nicht drall, aber dennoch in gewisser Weise üppig. Ihre Bewegungen, die immer ganz flink waren, bildeten einen Kontrast dazu. Was einen jedoch ansprang, wenn man Großmutter ansah, das Auffälligste an ihr, waren die Augen. Sie waren ganz klar und hellblau und sahen, vielleicht weil die Farbe an sich so ungewöhnlich war oder sie für einen solchen Kontrast zu ihrem ansonsten dunklen Erscheinungsbild sorgten, fast künstlich aus, als wären sie aus Stein. Mein Vater hatte die gleichen Augen, und sie erweckten den gleichen Eindruck. Außer ihrer Liebe zu Kindern war ihr grüner Daumen Großmutters hervorstechendste Eigenschaft. Wenn wir sie während des Sommerhalbjahres besuchten, trafen wir sie fast immer im Garten an, und wenn ich an sie dachte, dann oft in Bildern, die damit verbunden waren. Wenn sie mit Handschuhen und windzerzausten Haaren und mit trockenen Zweigen auf den Armen, die verbrannt werden sollten, über den Hof ging, oder wenn sie vor einer kleinen Grube, die sie soeben ausgehoben hatte, auf den Knien lag und vorsichtig das Netz von den Wurzeln löste, damit sie den kleinen Baum darin einpflanzen konnte, oder wenn sie mit einem Blick über die Schulter kontrollierte, ob sich der Rasensprenger drehte, nachdem sie den Hahn unter der Veranda aufgedreht hatte, um unmittelbar darauf die Hände in die Hüften zu stemmen und den Anblick des Wassers zu genießen, das im Sonnenlicht glitzernd in die Luft geschleudert wurde. Oder wenn sie auf der Böschung hinter dem Haus hockte und in den Beeten Unkraut jätete, die sie in allen Mulden und Senken des Felsgesteins angelegt hatte, wie das Wasser in den Felslandschaften der Schäreninseln, abgeschnitten von seiner angestammten Umgebung, Tümpel bildet. Ich erinnere mich, dass mir diese Pflanzen leidtaten, wie sie so einsam und schutzlos auf ihren Felskuppen standen, wie sehr mussten sie sich nach dem Leben sehnen, das sich unter ihnen entfaltete. Dort unten, wo alle Gewächse ineinander übergingen und unablässig neue Kombinationen bildeten, je nach Tages- und Jahreszeit, zum Beispiel die alten Birn- und Pflaumenbäume, die sie vom Sommerhaus ihrer Großeltern mitgebracht hatte, das Spiel der Schatten auf dem Gras, wenn der Wind an einem schläfrigen Sommertag durchs Laub strich und die Sonne in der Mündung des Fjords hinter dem Horizont versank und man hören konnte, wie sich die fernen Geräusche der Stadt in der Luft hoben und senkten wie Wellen, vermischt mit dem Summen von Wespen und Hummeln bei ihrer Arbeit in den Rosenstöcken an der Wand, wo die blassen Blütenblätter inmitten allen Grüns still und weiß leuchteten. Da hatte der Garten bereits den Charakter von etwas Altem bekommen, eine Würde und Fülle, die so nur die Zeit schenken kann und sicher der Grund dafür war, dass sie das Gewächshaus ganz unten, halb hinter einer Felskuppe verborgen, platziert hatte, wo sie ihr Betätigungsfeld erweitern und auch seltenere Bäume und Pflanzen züchten konnte, ohne dass der übrige Garten von der industriell anmutenden und provisorischen Ausstrahlung des Baus verschandelt wurde. Im Herbst und Winter sahen wir sie als vagen farbigen Umriss hinter den spiegelnden Glaswänden dort unten, und nicht ohne Stolz ließ sie wie beiläufig eine Bemerkung über die Gurken und Tomaten auf dem Tisch fallen, die nicht aus dem Geschäft kamen, sondern aus ihrem Treibhaus im Garten.
    Großvater hatte mit dem Garten nichts am Hut, und wenn Großmutter und Vater, oder Großmutter und Gunnar, oder Großmutter und Großvaters Bruder Alf unterschiedliche Pflanzen und Blumen und Bäume diskutierten, denn in unserer Familie interessierte man sich sehr für alles, was wuchs, griff er lieber nach einer Zeitschrift und blätterte darin, wenn er denn keinen Totoschein und die aktuellen Tabellen hervorkramte, um deren Rat einzuholen. Ich fand es immer ausgesprochen

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