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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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den Platz, raschelnd wirbelten Blätter vorbei, ein Reklameschild für Eiscreme drehte sich klappernd. Ich glaubte einen Tropfen auf meiner Wange zu spüren und blickte zum milchig weißen Himmel hinauf.
    »Fängt es an zu regnen?«, sagte ich.
    Jan Vidar streckte die flache Hand vor sich aus. Zuckte mit den Schultern.
    »Ich spüre nichts«, sagte er. »Aber wir spielen so oder so. Scheißegal, selbst wenn es anfängt, in Strömen zu gießen.«
    »Genau«, sagte ich. »Bist du nervös?«
    Er schüttelte verbissen den Kopf.
    Dann waren die Brüder fertig. Die wenigen Menschen, die sich um sie versammelt hatten, klatschten, und die Brüder verneigten sich andeutungsweise.
    Jan Vidar drehte sich zu Øyvind um.
    »Bist du fertig?«, sagte er.
    Øyvind nickte.
    »Bist du fertig, Jan Henrik?«
    Jan Henrik nickte.
    »Karl Ove?«
    Ich nickte.
    »Zwei, drei, vier«, sagte Jan Vidar in erster Linie zu sich selbst, denn in der ersten Runde des Riffs spielte nur er.
    In der nächsten Sekunde tobte der Klang seiner Gitarre über den Platz. Leute schreckten zusammen. Alle drehten sich zu uns um. Ich zählte an. Platzierte die Finger zum Griff. Meine Hand zitterte.
    EINS ZWEI DREI – EINS ZWEI DREI VIER – EINS ZWEI DREI – EINS ZWEI.
    Dann sollte ich einfallen.
    Aber es kamen keine Töne!
    Jan Vidar sah mich aus stierenden, vollkommen starren Augen an. Ich wartete bis zur nächsten Runde, drehte laut und fiel ein. Mit zwei Gitarren war es ohrenbetäubend.
    EINS ZWEI DREI – EINS ZWEI DREI VIER – EINS ZWEI DREI – EINS ZWEI.
    Dann fiel die Hi-Hat ein.
    Tschikka-tschikka , Tschikka-tschikka , Tschikka-tschikka , Tschikka-tschikka .
    Die große Trommel. Die Snare.
    Und dann der Bass.
    BAM-BAM-BAM -bambambambambambambambambambam-BA
    BAM-BAM-BAM -bambambambambambambambambambam- BA
    Erst danach sah ich wieder Jan Vidar an. Sein Gesicht war zu einer Art Grimasse verzogen, als er lautlos etwas zu sagen versuchte.
    Zu schnell! Zu schnell!
    Øyvind drosselte das Tempo. Ich versuchte das gleiche zu tun, aber die Sache war ein wenig verwirrend, denn sowohl der Bass als auch Jan Vidars Gitarre machten im gleichen Tempo weiter, und als ich es mir anders überlegte und ihrem Beispiel folgte, wurden sie auf einmal langsamer, und ich war allein in dem halsbrecherischen Tempo. Mitten in dieser Verwirrung sah ich den Wind durch Jan Vidars Haare fahren und dass sich vor uns einige Kinder die Ohren zuhielten. Im nächsten Moment waren wir beim Refrain und spielten halbwegs zusammen. Dann hastete mit schnellen Schritten ein Mann in einer hellen Hose, einem weißblau gestreiften Hemd und einer gelben Sommerjacke über den Platz. Es war der Geschäftsführer. Er nahm direkten Kurs auf uns. Zwanzig Meter entfernt winkte er mit beiden Armen, als wollte er ein Schiff stoppen. Er winkte und winkte. Wir machten noch ein paar Sekunden weiter, aber als er direkt vor uns stehen blieb und seine ausladenden Handbewegungen fortsetzte, konnte es keinen Zweifel mehr daran geben, dass er uns meinte, und wir hörten auf zu spielen.
    »Was zum Teufel macht ihr denn da!«, sagte er.
    »Wir sollten hier doch spielen«, erwiderte Jan Vidar.
    »Ja, seid ihr denn völlig verrückt geworden! Das ist ein Einkaufszentrum. Es ist Samstag. Die Leute wollen einkaufen und sich amüsieren! Da könnt ihr doch nicht so verdammt laut spielen!«
    »Sollen wir ein bisschen leiser drehen?«, sagte Jan Vidar. »Das lässt sich machen.«
    »Nicht nur ein bisschen«, entgegnete er.
    Mittlerweile hatte sich tatsächlich eine kleine Menschenmenge um uns gebildet. Vielleicht fünfzehn, sechzehn Personen, die Kinder mitgerechnet. Das war gar nicht so übel.
    Jan Vidar drehte am Lautstärkeregler des Verstärkers. Schlug einen Akkord an und sah den Geschäftsführer an.
    »Gut so?«, sagte er.
    »Mehr!«, antwortete der Geschäftsführer.
    Jan Vidar drehte noch etwas leiser, schlug einen neuen Akkord an.
    »Ist es so in Ordnung?«, sagte er. »Immerhin sind wir keine Tanzcombo«, meinte er.
    »Okay«, sagte der Geschäftsführer, »versucht es so, oder wartet, stell doch noch ein bisschen leiser.«
    Jan Vidar wandte sich wieder um. Als er an dem Regler drehen sollte, sah ich, dass er nur so tat, als ob.
    »So«, sagte er.
    Jan Henrik und ich justierten die Lautstärke nach unten.
    »Dann fangen wir noch einmal an«, sagte Jan Vidar.
    Und wir fingen wieder an. Ich zählte an.
    EINS ZWEI DREI – EINS ZWEI DREI VIER – EINS ZWEI DREI – EINS ZWEI
    Der Geschäftsführer bewegte

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