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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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sagte Jan Vidar.
    Ich bückte mich und schnürte meine Schuhe auf.
    »Hast du die Adresse, zu der wir müssen?«, sagte ich.
    »Irgendeine Nummer auf dem Elgstien«, sagte er. »Ich weiß in etwa, wo es ist.«
    Ich zog die Füße heraus und rieb sie zwischen den Händen. Als wir zu der kleinen unbemannten Tankstelle kamen, die es gab, solange ich denken konnte, und die immer ein Zeichen dafür gewesen war, dass wir uns Kristiansand näherten, als wir noch in Arendal wohnten und Großmutter und Großvater besuchten, steckte ich sie wieder in die Schuhe, verknotete die Schnürsenkel und war exakt in dem Moment fertig, als der Bus in die Haltestelle vor der Varodd-Brücke schwenkte.
    »Frohes neues Jahr!«, rief Jan Vidar dem Fahrer zu, ehe er mir hinterher in die Dunkelheit lief.
    Obwohl ich unzählige Male an ihr vorbeigefahren war, hatte ich, außer in meinen Träumen, noch nie einen Fuß auf sie gesetzt. Die Varodd-Brücke war einer der Orte, von denen ich am häufigsten träumte. Manchmal stand ich bloß an ihrem Fuß und sah den Pfeiler der Hängebrücke über mir aufragen, oder aber ich ging auf ihr entlang. Dann verschwand unweigerlich das Brückengeländer, so dass ich mich auf die Fahrbahn setzen und versuchen musste, etwas zum Festhalten zu finden, oder die Brücke riss plötzlich auf und ich rutschte unerbittlich auf die Bruchkante zu. Als ich jünger gewesen war, hatte die Tromøya-Brücke diese Rolle in meinen Träumen gespielt. Heute war es die Varodd-Brücke.
    »Mein Vater war bei der Eröffnung«, sagte ich und nickte zur Brücke hin, als wir über die Straße gingen.
    »Schön für ihn«, erwiderte Jan Vidar.
    Wir trotteten schweigend zu der Siedlung. Normalerweise hatte man von hier aus eine fantastische Aussicht, man konnte Kjevik und den Fjord sehen, der sich auf der einen Seite landeinwärts und auf der anderen weit ins Meer hinaus erstreckte. An diesem Abend war jedoch alles so schwarz wie im Inneren eines Sacks.
    »Ist der Wind nicht ein bisschen schwächer geworden?«, sagte ich nach einer Weile.
    »Scheint so«, meinte Jan Vidar und wandte sich mir zu. »Merkst du eigentlich was von dem Bier, das du getrunken hast?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nichts. Die waren also schon mal umsonst.«
    Nachdem wir einige Zeit gegangen waren, tauchten links und rechts von uns Häuser auf. Einige von ihnen waren dunkel und leer, andere voller festlich gekleideter Menschen. Auf manchen Veranden standen vereinzelt Leute und feuerten Raketen ab. An einer Stelle sah ich eine Gruppe Kinder mit Wunderkerzen im Wind winken. Ich hatte wieder kalte Füße. Die Finger der Hand, die nicht die Tüte hielt und im Fausthandschuh steckte, hatte ich zusammengekrümmt, ohne dass sie deshalb wärmer geworden wären. Doch jetzt waren wir laut Jan Vidar, der kurz darauf mitten auf einer Kreuzung stehen blieb, bald da.
    »Jetzt führt der Elgstien da hinauf«, zeigte er. »Und da hinauf. Und dann noch da runter und da runter. Du hast die Wahl. Welchen Weg sollen wir nehmen?«
    »Es gibt vier Straßen, die Elgstien heißen?«
    »Sieht ganz so aus. Aber welche von ihnen sollen wir nehmen? Gebrauche deine weibliche Intuition.«
    Weiblich. Warum sagte er das? Fand er mich weiblich?
    »Wie meinst du das?«, sagte ich. »Warum glaubst du, dass ich eine weibliche Intuition habe?«
    »Ach, nun komm schon, Karl Ove«, sagte er. »Welche Straße?«
    Ich zeigte auf die rechte obere. Wir gingen die Straße hinauf. Wir waren auf der Suche nach Nummer dreizehn. Die erste Hausnummer war dreiundzwanzig, gefolgt von einundzwanzig, wir waren also auf der richtigen Spur.
    Ein paar Minuten später standen wir vor dem Haus. Es war in den Siebzigern erbaut worden und wirkte ein wenig heruntergekommen. Der Weg zur Tür war nicht freigeschaufelt, und angesichts des knietiefen Pfads aus Fußspuren, der zum Haus führte, war dies offenbar schon länger nicht mehr getan worden.
    »Wie hieß nochmal der Typ, der die Fete organisiert?«, fragte ich, als wir vor der Tür waren.
    »Jan Ronny«, antwortete Jan Vidar und klingelte.
    »Jan Ronny?«, sagte ich.
    »Das ist sein Name.«
    Die Tür ging auf, und der Junge, der unser Gastgeber sein musste, stand vor uns. Er hatte kurze, helle Haare, Pickel auf der Wange und entlang der Nasenwurzel, ein Goldkettchen um den Hals, trug eine schwarze Jeans, ein holzfällerhaftes Baumwollhemd und weiße Tennissocken. Er ginste und zeigte auf Jan Vidars Bauch.
    »Jan Vidar!«, sagte er.
    »Das ist korrekt«, erwiderte Jan

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