Sterben: Roman (German Edition)
er.
»Ich stehe gut hier«, erwiderte ich.
»Na dann Prost!«, sagte er und hob seine Flasche in Richtung meiner. Ich trat die zwei Schritte zu ihm und stieß mit seiner an.
»Hopfen und Malz, hinein in den Hals!«, sagte er. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab wie ein Stempel, als er die Flasche leerte.
Øyvind war für sein Alter groß und ungewöhnlich kräftig gebaut. Er hatte den Körper eines erwachsenen Mannes. Er war zudem freundlich und scherte sich irgendwie nicht darum, was um ihn herum geschah, oder hatte jedenfalls stets ein entspanntes Verhältnis dazu. Als wäre er immun gegen die Welt. Er spielte Schlagzeug in unserer Band, warum auch nicht, das ließ sich machen. Er war mit Lene zusammen, warum auch nicht, das ging schon. Er unterhielt sich nicht besonders viel mit ihr, schleifte sie die meiste Zeit einfach zu Freunden mit, aber das war in Ordnung, sie wollte mit ihm zusammen sein, mehr als mit irgendeinem anderen. Ich hatte es mal ansatzweise bei ihr versucht, zwei Monate zuvor, nur vorgefühlt, wie meine Chancen standen, aber obwohl ich zwei Jahre älter war als die beiden, hatte sie keinerlei Interesse gezeigt. Oh, aber das war ja auch lächerlich. Umgeben von Mädchen auf dem Gymnasium wollte ich sie anbaggern? Ein Mädchen aus der siebten Klasse? Aber ihre Brüste sahen hübsch aus unter dem T-Shirt. Das wollte ich ihr immer noch ausziehen. Ihre Brüste wollte ich immer noch an meinen Händen spüren, Gymnasium hin oder her. Und nichts an ihrem Körper oder Verhalten deutete darauf hin, dass sie erst vierzehn war.
Ich setzte die Flasche an den Mund und leerte sie in einem Zug. Das werde ich nun wirklich nicht noch einmal schaffen, dachte ich, als ich sie auf dem Tisch absetzte und eine neue mit den Zähnen öffnete. Mein Bauch war von der vielen Kohlensäure ganz prall. Noch ein paar Schlucke mehr, und mir würde der Schaum zu den Ohren herauskommen. Zum Glück war es fast elf. Um halb zwölf konnten wir gehen und den restlichen Abend auf der anderen Fete verbringen. Hätte es diese Aussicht nicht gegeben, wäre ich längst fort gewesen.
Der Junge namens Jens stand plötzlich halb von der Couch auf, nahm das Feuerzeug vom Tisch und führte es hinter seinen Po.
»Jetzt!«, sagte er.
Er furzte und ließ gleichzeitig das Feuerzeug brennen, so dass hinter ihm eine kleine Stichflamme aufloderte. Er lachte. Die anderen lachten auch.
»Jetzt lass das!«, sagte Lene.
Jan Vidar grinste und achtete sorgsam darauf, meinem Blick nicht zu begegnen. Mit der Flasche in der Hand ging ich durchs Zimmer und zu der Tür am anderen Ende. Hinter ihr lag eine kleine Küche. Ich lehnte mich gegen die Arbeitsplatte. Das Haus lag an einem Hang, und das Fenster, ein gutes Stück über dem Erdboden, war der Rückseite des Gartens zugewandt. Zwei Fichten schwankten im Wind. Weiter unten lagen mehrere Häuser. Durch ein Fenster in einem von ihnen sah ich drei Männer und eine Frau mit Gläsern in den Händen zusammenstehen und sich unterhalten. Die Männer in schwarzen Anzügen, die Frau in einem ärmellosen schwarzen Kleid. Ich ging zu der anderen Tür im Raum und öffnete sie. Eine Dusche. An der Wand hing ein Taucheranzug. Immerhin etwas, dachte ich, schloss die Tür und kehrte in den Partykeller zurück. Die anderen saßen noch da wie zuvor.
»Spürst du was?«, sagte Jan Vidar.
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein. Nichts. Und du?«
Er grinste.
»Ein bisschen.«
»Ich glaube, wir müssen bald gehen«, sagte ich.
»Wo wollt ihr denn hin?«, erkundigte sich Øyvind.
»Zu der Kreuzung da oben. Wo um zwölf alle hingehen.«
»Ja, aber Scheiße, es ist doch erst elf! Und wir wollen da doch auch hin. Verdammt, wir gehen zusammen.«
Er sah mich an.
»Warum willst du da jetzt schon hin?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich hab mich da mit jemandem verabredet.«
»Natürlich warten wir auf euch«, sagte Jan Vidar.
Es war halb zwölf, als wir uns auf den Weg machten. Das ruhige Wohnviertel, in dem sich abgesehen von wenigen Gestalten auf der einen oder anderen Veranda oder in manchen Auffahrten eine halbe Stunde zuvor kein Mensch im Freien aufgehalten hatte, war mittlerweile voller Leben und Bewegung. Aus den Häusern strömten festlich gekleidete Menschen. Frauen mit Mänteln auf den Schultern, Gläsern in den Händen und hochhackigen Pumps an den Füßen, Männer in Mänteln, Anzügen und Lackschuhen und mit Tüten voller Feuerwerkskörper in den Händen füllten die Luft mit Lachen und Rufen. Jan Vidar
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