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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Unordnung und ohne Wasser in einem leeren Zimmer in einem leeren Haus im Wald liegen?
    Das überließ ich ihm.
    Wo war er überhaupt?
    Obwohl ich alleine war, zuckte ich mit den Schultern, zog mich an und ging in einer Landschaft, die wie hypnotisiert unter dem Licht des Mondes lag, zum Bus.
    Nach dem Kuss vor meiner Wohnung zog sich Hanne ein wenig zurück, sie beantwortete meine Zettel nicht mehr unbedingt sofort, und wir standen auch nicht mehr wie von selbst in den Pausen zusammen und unterhielten uns. Aber es gab keine Logik, kein System: Eines Tages akzeptierte sie auf einmal einen meiner Vorschläge und hatte nichts dagegen, am Abend mit mir ins Kino zu gehen, wir wollten uns um sieben im Foyer treffen.
    Als sie hereinkam und sich nach mir umsah, bekam ich einen Vorgeschmack darauf, was für ein Gefühl es möglicherweise wäre, mit ihr zusammen zu sein. Dann wäre jeder Tag wie dieser.
    »Hallo«, sagte sie. »Wartest du schon lange?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste, dass die Sache an einem seidenen Faden hing und ich alles herunterspielen musste, was sie daran erinnern könnte, dass wir etwas machten, was sonst eigentlich nur Paare machten. Sie durfte auf gar keinen Fall bereuen, dass sie mit mir im Kino war. Durfte keine besorgten Blicke in die Runde werfen, um zu schauen, ob Bekannte in der Nähe waren. Kein Arm um ihre Schulter, keine Hand in ihrer Hand.
    Es war ein französischer Film, der im kleinsten Kinosaal gezeigt wurde und mein Vorschlag gewesen war. Er hieß Betty Blue , Yngve hatte ihn gesehen und begeistert von ihm erzählt, jetzt lief er in unserer Stadt, und ich musste einfach hineingehen, denn bei uns liefen nur selten anspruchsvolle Filme, normalerweise hatten sie nur Hollywoodproduktionen im Programm.
    Wir setzten uns, zogen unsere Jacken aus, lehnten uns zurück. Sie wirkte angespannt, war es nicht so? Als wollte sie im Grunde gar nicht hier sein?
    Meine Handteller waren schwitzig. All meine Kraft löste sich im Körper auf, fiel tief und verschwand, ich war zu nichts mehr fähig.
    Der Film begann.
    Zwei Menschen vögelten.
    Oh nein. Nein, nein, nein.
    Ich traute mich nicht, Hanne anzusehen, ahnte jedoch, dass es ihr genauso erging wie mir und sie nicht wagte, mich anzusehen, sich stattdessen an die Stuhllehne klammerte und danach sehnte, dass die Szene vorbei sein würde.
    Aber sie ging nicht vorbei. Sie vögelten immer weiter auf der Leinwand.
    So ein Mist.
    Mist, Mist, Mist.
    Den ganzen Film über musste ich daran und an die Tatsache denken, dass Hanne wahrscheinlich auch daran dachte. Als der Film zu Ende war, wollte ich nur noch nach Hause, was sich auch ganz natürlich ergab, denn Hannes Bus fuhr vom Busbahnhof ab, und ich musste in die andere Richtung.
    »Hat er dir gefallen?«, sagte ich und blieb vor dem Kino stehen.
    »Ja-a«, sagte Hanne. »Ich fand ihn gut.«
    »Ja, er war ziemlich gut«, meinte ich. »Jedenfalls französisch!«
    Wir hatten beide Französisch.
    »Konntest du von dem, was sie gesagt haben, was verstehen, ohne die Untertitel, meine ich?«, sagte ich.
    »Ein bisschen«, antwortete sie.
    Pause.
    »Tja, ich glaube, ich muss jetzt mal nach Hause. Danke für den Abend!«, sagte ich.
    »Bis morgen«, sagte sie. »Mach’s gut!«
    Ich drehte mich nach ihr um, weil ich sehen wollte, ob sie sich zu mir umdrehte, aber das tat sie nicht.
    Ich liebte sie. Es war nichts zwischen uns, sie wollte nicht mit mir zusammen sein, aber ich liebte sie und dachte an nichts anderes. Selbst beim Fußball, der einzigen Zone, in der ich völlig von Gedanken verschont blieb, in der sich alles nur darum drehte, mit dem Körper anwesend zu sein, selbst dort schlug sie in mir ein. Jetzt sollte Hanne hier sein und mich sehen, das hätte sie überrascht, dachte ich dann. Wenn ich etwas Tolles erlebte, wenn mir eine treffende Bemerkung gelang und ich mit Lachen belohnt wurde, dachte ich unweigerlich, das hätte Hanne hören sollen. Unseren Kater Mephisto hätte sie sehen sollen. Unser Haus, seine Atmosphäre. Mutter, mit ihr hätte sie sich zusammensetzen und unterhalten sollen. Den Fluss vor dem Haus hätte sie sehen sollen. Und meine Platten! Die hätte sie hören sollen, jede einzelne. Aber unsere Beziehung entwickelte sich nicht in diese Richtung, sie wollte nicht in meine Welt eintauchen, ich wollte in ihre eintauchen. Manchmal dachte ich, dass es nie dazu kommen würde, manchmal dachte ich, dass es sehr wohl zu einer Wende kommen könnte, die alles veränderte. Die ganze Zeit sah ich

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