Sterben: Roman (German Edition)
oder acht Spieler in der A-Jugend, die besser waren als ich. Trotzdem waren nur ich und ein anderer Junge namens Bjørd in jenem Winter in die 1. Mannschaft berufen worden.
Ich verstand es.
Die Mannschaft hatte einen neuen Trainer bekommen, der sich alle Junioren ansehen wollte, so dass jeder eine Woche lang bei den Senioren mittrainieren durfte. Drei Mal hatte man folglich die Chance, sich zu zeigen. Ich war den ganzen Herbst über viel gelaufen und in so guter Form, dass man mich über 1500 Meter in die Schulmannschaft aufgenommen hatte, obwohl ich bis dahin niemals Leichtathletik betrieben hatte. Dann sollte ich mit der 1. Mannschaft trainieren, und als ich mich auf der schneebedeckten Aschenbahn nahe Kjøta einstellte, wusste ich, es galt zu rennen. Das war meine einzige Chance. Ich lief und lief. Bei jedem Lauf auf der Bahn lag ich an erster Stelle. Ich gab jedesmal alles. Als wir anschließend spielten, ging es so weiter, ich lief und lief, rannte jedem Ball hinterher, immer weiter, lief wie ein Irrer, und nach drei Trainingseinheiten in diesem Stil wusste ich, dass es gut gelaufen war, und als ich die Nachricht von meiner Berufung erhielt, überraschte sie mich nicht. Im Gegensatz zu den anderen in der A-Jugend. Bei jeder verpatzten Ballannahme, jedem Fehlpass, musste ich mir anhören, was zum Teufel hast du in der 1. Mannschaft verloren? Warum haben die dich geholt?
Oh, ich wusste warum, weil ich rannte.
Man musste nur rennen.
Nach dem Training, als die anderen sich beim Umziehen wie üblich über meinen Nietengürtel lustig machten, überredete ich Tom, mich nach Sannes zu fahren. Er setzte mich an den Briefkästen ab, wendete und verschwand bergab, während ich zu unserem Haus hinaufging. Die Sonne stand tief an einem Himmel, der vollkommen klar und blau war, überall um mich herum knisterte es im Schnee.
Ich hatte nicht angekündigt, dass ich kommen würde, wusste nicht einmal, ob Vater zu Hause war.
Vorsichtig versuchte ich die Tür aufzumachen. Sie war offen.
Aus dem Wohnzimmer strömte Musik. Er hatte sie laut gestellt, das ganze Haus war voller Musik. Es war Arja Saijonmaa, hörte ich, mit Ich will dem Leben danken .
»Hallo?«, sagte ich.
Bei der Lautstärke hört er mich sicher nicht, dachte ich und zog Schuhe und Jacke aus.
Ich wollte ihn nicht erschrecken und rief im Flur vor dem Wohnzimmer noch einmal Hallo! Keine Antwort.
Ich trat ins Wohnzimmer.
Er saß mit geschlossenen Augen auf der Couch. Sein Kopf bewegte sich im Takt der Musik vor und zurück. Seine Wangen waren tränennass.
Ich machte einige lautlose Schritte zurück in den Flur, wo ich mich möglichst schnell, ehe die Musik Pause machen würde, in die Kleider warf und aus dem Haus eilte.
Ich lief den ganzen Weg bis zur Bushaltestelle mit dem Rucksack auf dem Rücken. Glücklicherweise kam nur wenige Minuten später ein Bus. In den vier, fünf Minuten, die er bis nach Solsletta brauchte, rang ich mit mir, ob ich bei Jan Vidar aussteigen oder in die Stadt fahren sollte. Doch die Antwort lag im Grunde auf der Hand, ich wollte nicht allein sein, ich wollte mit jemandem zusammen sein, mit jemandem reden, an etwas anderes denken, und bei Jan Vidar würde ich dies angesichts der Freundlichkeit, mit der seine Eltern mich stets behandelten, tun können.
Er sei nicht zu Hause, sei mit seinem Vater auf dem Flughafen, sie kämen jedoch bald zurück, erkärte mir seine Mutter, ob ich nicht ins Wohnzimmer kommen und warten wolle?
Doch, das wollte ich. Und dort saß ich, eine aufgeschlagene Zeitung und eine Tasse Kaffee und eine Brotscheibe vor mir auf dem Tisch, als Jan Vidar und sein Vater eine Stunde später heimkamen.
Am Abend fuhr ich wieder zu unserem Haus zurück, aber er war nicht da, und ich wollte auch nicht dort bleiben. Es war dort nicht nur schmutzig und ungemütlich, was der strahlende Sonnenschein offenbar in gewisser Weise abgemildert hatte, denn es war mir am Tag nicht weiter aufgefallen, in den Leitungen war darüber hinaus auch noch das Wasser gefroren, wie ich feststellen musste. Und es schien schon eine ganze Weile gefroren zu sein, denn es gab bereits ein System mit Eimern und Schnee. In der Toilette standen mehrere Eimer voller Schnee, der zu Matsch geschmolzen war, den er offenbar benutzte, um in der Toilette zu spülen. Darüber hinaus stand neben dem Herd ein Eimer mit Schneematsch, den er vermutlich in Töpfen schmolz und zum Kochen benutzte.
Nein, dort wollte ich nicht bleiben. Sollte ich oben umgeben von
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