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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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die ich gesammelt hatte, weil ich mir sicher war, dass dazu im Examen eine Aufgabe kommen würde, und las sie, als ich seine Schritte auf der Treppe hörte.
    Als er eintrat, sah ich zur Tür. Er hielt etwas, vermutlich eine Einkaufsliste, in der Hand.
    »Könntest du für mich einkaufen gehen?«, sagte er.
    »Kann ich machen«, erwiderte ich.
    »Was liest du?«, wollte er wissen.
    »Nichts Besonderes«, sagte ich. »Nur was für Norwegisch.«
    Ich stand auf. Sonnenlicht ergoss sich auf den Fußboden. Das Fenster stand offen, draußen sangen die Vögel, sie saßen nur einen Meter entfernt zwitschernd in dem alten Apfelbaum. Vater reichte mir den Einkaufszettel.
    »Mama und ich haben beschlossen, uns scheiden zu lassen«, sagte er.
    »Aha?«, sagte ich.
    »Ja. Aber du wirst nicht darunter leiden müssen. Du wirst keinen Unterschied merken. Außerdem bist du ja fast erwachsen, in zwei Jahren ziehst du sowieso aus.«
    »Ja, das stimmt«, meinte ich.
    »Okay?«, sagte Vater.
    »Okay«, erwiderte ich.
    »Ich hab vergessen, Kartoffeln aufzuschreiben. Sollen wir vielleicht auch was zum Nachtisch besorgen? Nein, vergiss es. Hier hast du Geld.«
    Er gab mir einen Fünfhunderter, ich steckte ihn in die Tasche und ging die Treppe hinunter, auf die Straße hinaus, am Fluss entlang und in den Supermarkt. Ich trottete zwischen den Regalen herum und füllte den Einkaufskorb mit Waren. Sie wollten sich scheiden lassen, bitte, dann sollten sie das tun. Vielleicht hätte ich anders reagiert, wenn ich jünger gewesen wäre, acht oder neun, überlegte ich, dann hätte es mir etwas bedeutet, aber jetzt spielte es im Grunde keine Rolle mehr, ich hatte mein eigenes Leben.
    Ich gab ihm die Lebensmittel, er kochte, wir aßen gemeinsam, ohne etwas von Belang zu sagen.
    Dann fuhr er.
    Worüber ich froh war. Hanne sollte an diesem Abend in einer Kirche singen, sie hatte gefragt, ob ich kommen wolle, und das wollte ich natürlich. Ihr Freund war auch da, so dass ich mich nicht zu erkennen gab, aber als ich sie dort stehen sah, so rein und schön, gehörte sie mir, die Gefühle eines anderen Menschen für sie konnten sich mit meinen nicht messen. Draußen bedeckte Staub den Asphalt, in Mulden und auf schattigen Böschungen beidseits der Straße lagen noch Schneereste, sie sang, ich war glücklich.
    Auf dem Heimweg stieg ich am Busbahnhof aus und ging das letzte Stück durch die Stadt, ohne dass sich meine Rastlosigkeit dadurch abgeschwächt hätte, in mir waren so viele und so intensive Gefühle, dass es mir nicht gelingen wollte, sie zu bewältigen. Als ich zu Hause war, legte ich mich aufs Bett und weinte. Es lag keine Verzweiflung in diesen Tränen, keine Trauer, keine Wut, nur Freude.
    Am nächsten Tag waren wir allein in der Klasse, die anderen waren hinausgegangen, wir trödelten beide, sie vielleicht, weil sie hören wollte, wie ich das Konzert gefunden hatte. Ich sagte ihr, sie habe fantastisch gesungen, sie sei fantastisch. Sie strahlte, während sie ihren Ranzen packte. Dann kam Nils herein. Das passte mir nicht, seine Anwesenheit fiel wie ein Schatten auf uns. Wir hatten Französisch zusammen, und er war anders als die anderen Jungen in der ersten Klasse, hing mit Leuten, die viel älter waren als er, in den Kneipen der Stadt herum, war selbständig in seinen Ansichten und seinem Leben. Er lachte viel, machte sich über alle lustig, auch über mich. Ich fühlte mich immer klein, wenn er das tat, wusste nicht, wohin ich sehen oder was ich sagen sollte. Jetzt begann er, sich mit Hanne zu unterhalten. Er umkreiste sie irgendwie, sah ihr in die Augen, lachte, kam näher, stand plötzlich ganz dicht vor ihr. Ich hatte nichts anderes von ihm erwartet, nicht das, sondern Hannes Reaktion wühlte mich auf. Sie wies ihn nicht zurück, tat ihn nicht mit einem Lachen ab. Obwohl ich dabei war, öffnete sie sich ihm. Lachte mit ihm, begegnete seinem Blick, spreizte sogar, auf ihrem Pult sitzend die Knie, und er kam ganz dicht zu ihr. Es war, als hätte er sie verhext. Einen kurzen Moment blieb er dort stehen und starrte ihr in die Augen, es war ein Augenblick voller Spannung und Nervosität, dann ließ er sein boshaftes Lachen hören und wich einen Schritt zurück, ließ eine entwaffnende Bemerkung fallen, hob mir zugewandt grüßend die Hand und verschwand. Rasend vor Eifersucht sah ich Hanne an, die ihre frühere Beschäftigung wiederaufgenommen hatte, allerdings nicht so, als wäre nichts vorgefallen, sie schien vielmehr in ganz anderer Weise in

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