Sterbensangst (German Edition)
dazwischen. Dazu gehört auch eine rasch hingeflüsterte Nachricht von Ben Nielsen, der McAvoy empfiehlt, was immer er gerade tue auf der Stelle stehen und liegen zu lassen und sich nach Queen’s Garden zu begeben, andernfalls riskiere er den Verlust wichtiger Körperteile.
Ein Dutzend Reporter lungert vor dem Revier herum, aber sie beachten ihn kaum, und er gelangt unbehelligt durch die große Doppeltür in die Lobby des wuchtigen Gebäudes aus Glas und Backstein.
»Einsatzzentrale?«, fragt er keuchend.
»Pharaoh?«, fragt der beleibte, blasse Sergeant vom Dienst. Er sitzt mit einem Becher Kaffee und einem Buch auf einem Drehstuhl. Muskulös und in mittleren Jahren, sieht er aus wie einer, der schon lange in der Nachtschicht arbeitet und nichts zwischen sich und seine Routine kommen lässt. Er trägt ein kurzärmliges Hemd, das am Kragen zu eng ist, so dass sein großer runder Schädel so aussieht, als gehöre er gar nicht zum Körper.
»Allerdings.«
»Sind noch beim Einrichten. Versuchen Sie’s in Ropers altem Büro. Sie kennen den Weg?«
McAvoy starrt den Sergeant vom Dienst an. Hat im Ton des Mannes ein Vorwurf gelegen? Er spürt die Röte in seinem Gesicht aufsteigen.
»Ich werde es schon finden«, sagt er. Mit einem angedeuteten Lächeln.
»Ich denke auch, dass Sie das schaffen«, meint der uniformierte Beamte und leckt sich mit einem kaum wahrnehmbaren Ausdruck der Verachtung über die Lippen.
McAvoy wendet sich ab. Er hat sich an so etwas gewöhnt. An Verachtung und Häme, an Misstrauen und offene Abscheu, ausgehend von dem Klüngel von Beamten, die sich in Doug Ropers Kielwasser bewegt hatten.
Er weiß, wenn er nicht so ein Riese wäre, würde ihm die Hälfte seiner Kollegen glatt ins Gesicht spucken.
Er geht so schnell davon, wie es seine Würde gestattet, bis er außer Sichtweite ist; dann verfällt er in einen schnellen Trott. Er nimmt drei Stufen auf einmal. Einen weiteren Korridor entlang. Bilder und Poster und Warnungen und Ermahnungen an Schwarzen Brettern und kränklich magnoliafarbenen Wänden gleiten verschwommen an seinen Augenwinkeln vorbei.
Stimmen. Rufe. Geklapper. Gepolter. Durch eine Doppeltür aus Mahagoni direkt in die Höhle des Löwen.
Er hebt die Hand, um anzuklopfen, als die Tür plötzlich nach innen aufschwingt. Trish Pharaoh kommt in ein erregtes Gespräch vertieft herausgestürmt.
»… höchste Zeit, dass sie das begreifen, Ben.«
Sie ist eine gutaussehende Frau Anfang vierzig, wirkt aber eher wie die Putzfrau als eine höhere Beamtin. Erreicht kaum die vorgeschriebene Körpergröße, ist mollig, mit langen schwarzen Haaren, die sie ungefähr alle halben Jahre beim Friseur stylen und den Rest der Zeit einfach wachsen lässt. Sie hat vier Kinder und behandelt ihre Leute mit derselben Mischung aus Zärtlichkeit, Stolz und aggressiver Enttäuschung, die sie ihren Sprösslingen entgegenbringt. Sie flirtet gerne und flößt den jüngeren, männlichen Beamten mit ihrer sexy Ausstrahlung à la »Mutter deines besten Freundes« eine Heidenangst ein. Trotz ihres Eherings sieht man unter den Fotos auf ihrem Schreibtisch kein Bild eines Ehemannes.
Als sie McAvoy vor sich erblickt, bleibt sie abrupt stehen, und DC Nielsen prallt in sie hinein. Sie wirbelt herum und funkelt ihn an, bevor sie McAvoy anfaucht.
»Sieh an, unser Rumtreiber«, sagt sie.
»Ma’am, ich war in einem Goodwill-Auftrag für ACC Everett unterwegs, geriet in ein Funkloch und …«
»Pssst.«
Sie legt den Finger an die Lippen, dann streckt sie die Handflächen mit geschlossenen Augen vor sich aus, als würde sie bis zehn zählen. Einen Moment lang stehen sie alle drei schweigend im Korridor. DC Nielsen und Sergeant McAvoy wie unartige, schuldbewusste Schulschwänzer, die ihre Lieblingslehrerin schwer enttäuscht haben. Endlich stößt sie einen Seufzer aus. »Wie auch immer, jetzt sind Sie ja da. Ich bin sicher, Sie hatten Ihre Gründe. Ben wird Sie auf den neuesten Stand bringen, und Sie können damit anfangen, eine Datenbank anzulegen. Es ist ein bisschen spät, um noch viel Telefonarbeit zu erledigen, aber wir müssen alle Gemeindemitglieder in die Matrix eingeben, die Sie entwickelt haben. Ich habe doch recht, dass sie für Fälle wie diesen gedacht war, ja? Eine Menge Zeugen. Unterschiedliche Hintergründe. Bindeglieder zwischen …«
»Ja, ja«, sagt McAvoy mit plötzlich erwachendem Enthusiasmus. »Es ist wie ein Venn-Diagramm. Wir finden alle Details über eine bestimmte Gruppe von
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