Sterbensangst (German Edition)
ich erst durch einen Anruf von ACC Everett von der Sache hier erfahren habe. Er besuchte gerade mit dem Superintendent von Grimsby Central eine Beerdigung, als der diensthabende Beamte den Super anrief und fragte, ob sie auf Anfrage des Dezernats für Kapitalverbrechen und organisierte Kriminalität die Tür eines Apartments eintreten dürften. Wollte wissen, was Angela Martindale mit dem Daphne-Cotton-Fall zu tun hätte. Oder dem Trevor-Jefferson-Fall. Sind Ihnen diese Ermittlungen vielleicht noch dunkel erinnerlich? Der ACC wollte von mir alles haarklein wissen. Ich war nicht gerade erfreut über diesen Anruf. Besonders, als ich ihm sagen musste, dass ich noch nie von Angela Martindale gehört hätte. Und auch keine Ahnung hätte, warum ein armer uniformierter Constable auf Wunsch zweier meiner Beamter unbedingt ihre Tür eintreten und sich davon überzeugen sollte, dass sie nicht tot ist.«
McAvoy hebt den Kopf. Öffnet den Mund. Schließt ihn wieder.
»Und nun stehe ich hier in Grimsby«, sagt sie. »Eine meiner Beamtinnen ist halb verblutet. Ein anderer hat einen Fetzen Balaklava erbeutet. Dann ist da noch eine halb vergewaltigte Frau, die mit Schnitten in ihrer Muschi in der Toilette dieses Pubs herumliegt. Ich habe ziemlich viele Fragen. Meinen Sie, der ein oder andere von Ihnen könnte sich vielleicht dazu durchringen, mir ein paar Antworten zu geben?«
Schweigen breitet sich im Raum aus. Colin Ray zuckt die Achseln, nimmt sich aber die Zeit, den Kopf zu drehen und McAvoy auf jene Art zuzuzwinkern, die mit Kameradschaftlichkeit wenig zu tun hat. Shaz Archer folgt seinem Beispiel, und mit weniger vorwurfsvollen als fragenden Blicken wenden sich auch Ben Nielsen und Sophie Kirkland zu ihm um. Alle Augen sind auf ihn gerichtet.
»Sieht so aus, als hätte man Sie zum Sprecher ernannt, mein Junge«, sagt Pharaoh ohne eine Spur von Wärme.
McAvoy blickt auf. Seine Rippen pochen wie in einem Migräneanfall, und ein paar Backenzähne sitzen nur noch locker im Zahnfleisch. Ihm wird schlecht bei dem Gedanken, sich erklären zu müssen, und er fühlt sich bis auf die Knochen blamiert, dass er einen Mörder in der Hand hatte und wieder entkommen ließ.
»Es gibt eine Verbindung«, sagt er mit einer Stimme wie ein Schuljunge. Er schließt die Augen wieder. Sagt sich, dass er es besser schnell hinter sich bringt. Alles auf den Tisch legt und hofft, dass es einen Sinn ergibt, wie vor ein paar Minuten noch, als seine Finger sich um die kräftigen, sehnigen Arme des Mannes schlossen, der Angela Martindale zu ermorden versucht hatte. Als er begriff, dass er recht gehabt hatte. Recht damit, seinem Riecher zu folgen, die Tür einzutreten. Sein einziger Fehler war, seiner Chefin nicht von Anfang an reinen Wein eingeschenkt zu haben. Was das wohl über ihn aussagt? Ist es seine Arroganz, die ihn immer wieder daran hindert, seine Vorgesetzten ins Vertrauen zu ziehen? In der Hitze des Gefechts, im Adrenalinrausch, in dem weißglühenden Augenblick der Gewissheit, dass er dabei war, einen Killer zu stellen, hatte er es schlicht und einfach vergessen.
Er sieht niemanden an. Stellt sich vor, er würde mit sich selbst sprechen. Alles auf einem leeren Blatt niederschreiben.
»Am Tag von Daphne Cottons Ermordung bat mich ACC Everett, eine gewisse Barbara Stein-Collinson aufzusuchen und ihr die Nachricht zu überbringen, dass ihr Bruder auf hoher See tot aufgefunden worden sei. Sein Name lautete Fred Stein. Er war der einzige Überlebende einer der Trawlertragödien vor der isländischen Küste im Jahr 1968. Er hatte es mit zwei anderen Besatzungsmitgliedern in ein Rettungsfloß geschafft. Die beiden starben. Er nicht. Vor einer Woche brach er mit einer Dokumentarfilmcrew auf, um seine Geschichte zu erzählen und einen Kranz an der Stelle niederzulegen, wo sein Schiff gesunken war. Auf hoher See verschwand er. Er hatte sich während eines Interviews ziemlich aufgeregt, wollte kurz Luft schnappen und ward nicht mehr gesehen. Ein paar Tage später fand man ihn tot in einem Rettungsfloß treibend. Nicht in einem Rettungsfloß des Schiffes, sondern in einem, das speziell für diesen Zweck an Bord gebracht worden war. Ein außergewöhnlich aufwendiger Selbstmord? Weil er sich schuldig fühlte, dass er überlebt hatte, während alle anderen starben? Möglich. Aber es passte nicht zusammen. Ich nahm daraufhin Kontakt mit einem Schriftsteller namens Russ Chandler auf. Er wohnt zurzeit in Linwood Manor …«
»In der Klapsmühle?«, fragt
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