Sterbenswort: Thriller (German Edition)
Kathrin die Wohnungstür aufschloss, kroch Eiseskälte in ihr hoch.
Denn sie musste den Schlüssel nicht ganz herumdrehen, um den Riegel zu öffnen; sie war lediglich ins Schloss gefallen.
Aber Kathrin war sich sicher, dass sie den Schlüssel einmal herumgedreht hatte. Sie versuchte, sich zu erinnern. Sie war zurückgegangen, um zu überprüfen, ob sie das Gas heruntergedreht hatte. Hatte sie davor abgesperrt und es danach vergessen?
Nein, sie hatte es sowohl vorher als auch nachher getan.
Oder doch nicht?
Es rauschte in ihren Ohren. Sie konzentrierte sich.
Mia blickte irritiert zu ihr; sie schien das Rauschen auch zu hören.
Erst jetzt bemerkte Kathrin, dass es aus der Küche kam.
Sie ließ ihre Tochter stehen und eilte durch den Gang.
In der Tür blieb sie stehen. Sie konnte nicht glauben, was sie sah, musste sich am Rahmen abstützen.
Das Wasser lief in einem dicken Strahl ins Spülbecken, der Kühlschrank stand sperrangelweit offen, das Gefrierfach ebenso. Eis hatte zu schmelzen begonnen und Tropfen fielen bereits zu Boden.
Gedanken überschlugen sich.
Wie konnte das sein?
Als sie den Gasherd kontrolliert hatte, war doch noch alles in Ordnung gewesen.
Panik breitete sich aus. Kathrin rang nach Luft.
Er war wieder hier gewesen.
Der Unbekannte.
Erik!
Sie schloss den Kühlschrank und drehte den Wasserhahn zu.
Das Rauschen blieb.
Es kam aus dem Bad.
Sowohl ins Waschbecken als auch in die Badewanne lief Wasser.
Auch hier schloss sie die Hähne. Dann setzte sie sich auf den Wannenrand und nahm den Kopf in die Hände.
Sie fror.
So konnte es nicht weitergehen.
Erik konnte es nicht sein.
Erik war tot.
Eigenhändig hatte sie damals seinen Tod festgestellt.
Und Geister gab es nicht.
Wer aber gespensterte dann durch ihr Leben?
Mia!
Sie erschrak.
Als sie eben von der Küche durch den Flur ins Bad gehetzt war, hatte sie nichts von ihrer Tochter gesehen.
Zuletzt hatte Mia doch an der Garderobe gestanden.
Raus aus dem Bad.
Die Wohnungstür war noch angelehnt.
Jeder hätte hereinkommen und ihre Tochter einfach mit sich nehmen können.
»Mia?«
War sie es, die den Namen eben geschrien hatte?
Sie hörte ein Geräusch aus dem Kinderzimmer, riss die Tür auf und – war erleichtert: Vor ihr stand das Mädchen.
»Da bist du ja«, sagte Kathrin mit gedämpfter Stimme und froh.
Mia fühlte sich bei etwas ertappt und steckte rasch ihre Faust in die Hosentasche.
Dann blickte sie ängstlich zu ihrer Mutter empor.
»Was hast du da?«
»Nichts.«
»Du versteckst doch etwas vor mir.«
Mia presste die Lippen aufeinander.
»Zeig mir, was du in deiner Hand hast.«
Mia wusste, dass sie verloren hatte. Langsam zog sie ihre Faust wieder hervor und streckte sie ihrer Mutter entgegen. Schließlich öffnete sie sie.
In Mias Handfläche lag ein Ring.
»Der Mann hat ihn mir geschenkt.«
Kathrin wusste sofort, dass sie ihn kannte.
»Er hat ihn einfach auf den Boden gelegt.«
Und sie wusste auch, wem er gehört hatte.
»Und was auf dem Boden liegt, darf man doch behalten.«
Wie in Trance griff sie danach, um sich zu überzeugen, dass sie sich irrte.
Das Schicksal tat ihr diesen Gefallen nicht.
Sie hielt den Ring ins Licht und begutachtete die Prägung.
Zwei Namen waren eingraviert: ›Amelie‹ und ›Erik‹; dazwischen ein Herz.
9
Damals
A melie drehte sich einmal um sich selbst, stoppte und begutachtete das Musicaltheater und die davor verlaufenden Wasserwege: »Es sieht alles sehr künstlich aus. Wie auf dem Reißbrett entstanden.«
»Natürlich. Er ist ja auch auf dem Reißbrett entstanden«, antwortete Kathrin und folgte ihren Blicken.
Erst vor wenigen Tagen war der Potsdamer Platz für die Bevölkerung geöffnet worden.
»Ich bin sehr skeptisch, ob er von den Berlinern angenommen wird.«
»Und ich bin mir sehr sicher, dass dies passieren wird. Auch die Touristen werden hierherströmen.«
Als wollte es Kathrins Worte bestätigen, schlenderte ein junges japanisches Ehepaar an den beiden Frauen vorbei. Ihm folgten zwei Männer, händchenhaltend, einer in Jeans-, der andere in Baumwolljacke, die sich in eindeutig bayrischem Dialekt unterhielten.
»Wenn man bedenkt, dass hier vor wenigen Jahren noch Wiesen waren.«
»Na ja, besser als der Polenmarkt ist es jetzt allemal.«
»Hast du gewusst, dass auf dem Potsdamer Platz die erste Verkehrsampel auf dem Kontinent stand?«, schwärmte Kathrin.
»Ja, du hast es mir bereits erzählt.«
»Oh, entschuldige. Aber ich bin einfach fasziniert
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