Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
hoffentlich nichts Ernstes?«
»Nein«, grinste King. »Nur ein übermäßiges Bedürfnis nach billigem Fastfood.«
»Wie dem auch sei«, lenkte Sven das Gespräch wieder zum Thema zurück, »der Schreibkram muss warten. Ihr müsst uns einen Gefallen tun.«
King lehnte sich zurück und fuhr sich mit den Fingern durch die rostroten Haare. »Schieß los.«
Sven ließ Jensens Akte und den Bericht von letzter Nacht auf den Tisch fallen und erläuterte die Fakten, während King und Cerwinski in den Unterlagen blätterten. Als er fertig war, setzte er sich und sah seine beiden jungen Kollegen erwartungsvoll an.
»Und was genau wollt ihr von uns?«, fragte King skeptisch.
»Ihr sollt euch bloß ein bisschen in Jensens Wohnung umsehen. Vielleicht finden wir dort etwas, das uns weiterbringt.«
»Und warum kümmert ihr euch nicht selbst darum?«, wollte Cerwinski wissen. »Ihr braucht doch nur wieder jemanden, der euch die Drecksarbeit abnimmt.«
»Wir statten in der Zwischenzeit diesem Milenz einen Besuch ab«, erklärte Sven. »Womöglich steckt der in der Sache mit drin. Zumindest könnte er uns ein wenig mehr über Jensen erzählen. Durch eure Hilfe könnten wir viel Zeit gewinnen.«
»Also wieder mal Überstunden«, seufzte King. »Und wozu die Eile?«
»Wenn unsere Vermutungen zutreffen«, sagte Sven, »haben wir Hofer mit unserem Besuch einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Und ich will auf jeden Fall vermeiden, dass er genug Zeit hat, seine Spuren zu verwischen. Wir müssen ihn weiter unter Druck setzen, damit er einen Fehler macht.« Sein Handy klingelte. Als er es aus der Hosentasche zog und auf das Display schaute, stockte ihm einen Moment lang der Atem.
Sandra.
Er hatte diesen Namen doch tatsächlich für einen kurzen Zeitraum aus seinem Gedächtnis verdrängt. Umso mehr hatte er jetzt das Gefühl, er stürzte wie in einem Fahrstuhlschacht haltlos in die Tiefe.
»Ich … Ich bin mal kurz nebenan«, sagte er zu Dennis. Dann ging er in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Anschließend holte er zweimal tief Luft und drückte die Sprechtaste. »Ja?«
»Ich bin’s, Sandra!« Ihre Stimme klang schroff und verärgert.
Also gut , dachte sich Sven, der ganz kurz gehofft hatte, sie wolle sich vielleicht bei ihm entschuldigen. Sie klingt also verärgert . Nun, das war ja auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich war sie es ja gewesen, die ihm ohne nachvollziehbare Erklärung den Laufpass gegeben hatte. Und sie war es auch, die damit sein Leben in ein trostloses schwarzes Loch verwandelt hatte. Also war es ja auch nur allzu begreiflich, dass sie jetzt verärgert klang.
»Was willst du?«, fragte er kurz angebunden.
»Wie wär’s mit einer Erklärung?«
»Ich glaube, wenn hier jemand das Recht auf eine Erklärung hat, dann bin ich es, findest du nicht?« Zu seiner eigenen Überraschung war er erstaunlich gefasst.
»Ja, und wenn ich mich nicht irre, wollten wir uns deshalb heute treffen. Du hättest wenigstens anrufen können!«
»Was?«, stieß er verwundert hervor. »Wovon redest du eigentlich?«
Sandra seufzte resigniert. »Du hast es also tatsächlich vergessen.«
»Vergessen? Was denn …?« Er verstummte. Wie aus heiterem Himmel tauchte plötzlich das Anschreiben vor seinem inneren Auge auf, das er einige Tage zuvor in seinem Briefkasten gefunden und nach ausgiebiger Begutachtung zerrissen hatte. Jetzt jedoch sah er es so deutlich vor sich, als hielte er es noch immer in den Händen:
… Um in dieser Angelegenheit eine für beide Parteien zufriedenstellende Lösung zu erreichen, bitte ich Sie hiermit, am Freitag, dem 28. Juli, um 11 Uhr 30 in meiner Kanzlei zu erscheinen …
Er schloss die Augen. »Mist«, zischte er in die Sprechmuschel. »Der verfluchte Anwaltstermin.«
»Ja, richtig«, fauchte Sandra, »der verfluchte Anwaltstermin! Ist dir eigentlich klar, dass ich über eine Stunde dort gesessen und auf dich gewartet habe? Weißt du, wie peinlich das für mich war?«
Und weißt du, wie viele Nächte ich schon nicht mehr richtig geschlafen und wie oft ich in letzter Zeit daran gedacht habe, von irgendwelchen Brücken zu springen? , ging es Sven durch den Sinn. »Hey, es tut mir leid, okay? Ich habe momentan eine Menge um die Ohren, ich habe wirklich nicht mehr daran gedacht.« Das war nicht einmal gelogen.
»Schon gut.« Sandras Stimme klang etwas ruhiger. Im Hintergrund konnte Sven das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos hören. »Ich glaube, was mich eigentlich so
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