Stern auf Nullkurs (1979)
Zwiegespräche mit sich selber, so klar und so deutlich, wie man zu formulieren imstande ist, wenn man allein und ohne Zuhörer seine Argumente ordnet.
Nur, sich selber muß er nichts erläutern, sich braucht er auch nicht zu überzeugen. Reichen aber seine Worte aus, die Meinung anderer zu ändern, Überzeugungen zu wandeln, Vorurteile abzubauen, Gegenargumente zu zergliedern und schließlich ad absurdum zu führen? Kann man überhaupt etwas verändern, wenn einem nichts als Worte zur Verfügung stehen?
Dabei hat er sich jedes Wort zurechtgelegt, jedes seiner Argumente hundertmal durchdacht, hat sich selbst alle nur möglichen Erwiderungen entgegengehalten, hat sie im stillen attackiert und endlich zerschlagen. Alle! Seine Argumentation schien keine schwache Stelle zu haben. Und nun zweifelt er doch wieder, steht vor dem Tonträger und gerät schon nach den ersten Worten ins Stocken.
Ihn stört die anonyme Atmosphäre der Studios, die lautlos hinter seinem Rücken wechselnden Bilder, die starren Augen der Kameras, die heftige Gestik der Assistenten und die Mimik der Regisseure. Da werden Kameras umdirigiert, Lichtreflexe korrigiert, eben gegebene Anweisungen mit einer Handbewegung wieder umgestoßen.
Die Sorge, nicht auf die Stimmungen und Emotionen des Publikums eingehen zu können, da die Sendung ohne Zuhörer aufgenommen wird, raubt ihm einen Augenblick lang die Konzentration. Rein mechanisch entwickelt er seine Gedanken.
Drüben an der Wand flammt eine Leuchttafel auf. Die Einschaltquote. Bereits die erste Sendung wird von ungewöhnlich vielen Menschen gesehen. Überraschenderweise gibt ihm der Gedanke, daß ihn in dieser Sekunde Millionen von Menschen sehen können, daß sie seine Worte hören, daß sie sich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen haben, einen Teil seiner Sicherheit zurück. Plötzlich fließen ihm die Worte zu. Das Bewußtsein, eine der schärfsten Waffen der Meinungsbildung zu benutzen, hebt sein Selbstvertrauen. Mit sparsamen Gesten entwickelt er seine Argumentation, legt an besonders bedeutsamen Passagen kleine Pausen ein, läßt wirken, stößt nach, beschwört, hebt die Stimme und widerlegt unausgesprochene Entgegnungen. Mit der Zeit gerät er in eine Art Rausch, das Studio existiert nicht mehr, die Regisseure nicht und nicht die Tiefstrahler, auch nicht die Tafel, die über die Einschaltquote orientiert und auf der die Zahlen immer noch steigen und steigen; jetzt gibt es nur noch ihn, Kalo Jordan, die Menschen, die er zu überzeugen sucht, und die Astraten, denen geholfen werden muß.
Nach der ersten Sendung fühlt er sich als Mittelpunkt wichtiger Ereignisse, der wichtigsten in der Geschichte der Menschheit vielleicht. Die eigenen Gedanken beflügeln ihn, er ist überzeugt, Meinungen in seinem Sinne verändern zu können, beizutragen zu einer Entscheidung, die ihm als die einzig vernünftige erscheint, als unumgänglich.
Aber bereits nach der zweiten Sendung beginnt er am Erfolg seiner Bemühungen zu zweifeln. Daran vermag auch die Begeisterung der Regisseure über die Einschaltquoten nichts zu ändern.
Vielleicht trägt auch Aikikos Skepsis zu seinen Zweifeln bei. Sie glaubt nicht, daß er auf diese Weise entscheidenden Einfluß auf die allgemeine Stimmung nehmen kann.
Und William Randolph geht sogar noch einen Schritt weiter. „Quote hin, Quote her", sagt er nachdenklich. „Natürlich interessiert man sich für die Ereignisse. Schließlich betreffen sie uns alle. Aber die Zahl derer, die sich wirklich durch zwei und drei Sendungen beeinflussen lassen, ist verschwindend gering. Und im übrigen neigen die Menschen ohnehin dazu, ihre Informationen in gedrängter Form aus den Nachrichten zu entnehmen. Ich halte die Sendungen für vergeudete Zeit."
Kalo könnte dem manches entgegenhalten, aber er tut es nicht. Er ist nachdenklich geworden. Und nach der dritten Sendung geht er keine weiteren Verpflichtung mehr ein. Er hat einen guten Vorwand, ein Alibi sozusagen, denn da ist ein Anruf Kreggs, der ihn unverzüglich zur Extrakom beordert.
Kalo meldet sich über Haustelefon an. Er muß lange warten, ehe Kregg an den Apparat kommt. Um diese Zeit ist das Vorzimmer schon verwaist, die dunkelhaarige Frau ist längst gegangen. Bestimmt warten irgendwo in der großen Stadt Menschen auf sie, Kinder vielleicht, bestimmt ein Mann, die Familie, der Lebenskreis, der ihr Entspannung bringt und das Glück, dessen jeder bedarf, das sich jeder auf seine Weise zu schaffen
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