Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
starrte sie verwundert auf den Inhalt und fragte laut: »Aber was soll das denn bedeuten?«
»Zeig her!« Hermann machte Anstalten, sich aus seinem Stuhl zu erheben. Mit großer Mühe stützte er die Hände auf die Lehnen und zwang seinen Körper nach oben. Er war so lange nicht mehr allein gelaufen, dass ihm jetzt die Knie einbrachen. Sofort kam Rafaela, drückte Hermann zurück auf den Stuhl, brachte ihm das Paket und legte es ihm in den Schoß.
Hermann starrte darauf und schüttelte den Kopf. »Was soll das? Das sind die Kleider meiner Frau. Das ist die Unterwäsche meiner Frau! «
Der Bote erschrak nun selbst. Als Hermann ihn anherrschte: »Was hat das zu bedeuten?«, zuckte er nur lahm mit den Schultern und stammelte: »Der Amerikaner hat gesagt, Ihre Frau hätte diese Dinge bei ihm im Zimmer vergessen.«
Er hielt Hermann die Quittung unter die Nase und verschwand, sobald er die Unterschrift hatte.
Hermann ließ die Kleider fallen und blickte anklagend auf Rafaela. »Wo ist meine Frau?«, fragte er drohend.
Rafaela schluckte. »Ich habe die Doña heute noch nicht gesehen«, stammelte sie.
»Dann such sie. Sie soll zu mir kommen. Und zwar sofort! «
Wie der Blitz wirbelte Rafaela aus dem Zimmer, und Hermann konnte hören, wie sie ein um das andere Mal Mafaldas Namen rief. Kurz darauf kam sie zurück. »Niemand hat die Doña seit gestern Nachmittag gesehen. Ihr Bett war unberührt, sagt Dolores. Und zum Frühstück ist sie auch nicht erschienen. Niemand weiß, wo sie im Augenblick ist.«
Hermann nickte. Sein Gesicht war aschfahl geworden. Wütend riss er sich den Umhang von der Schulter und herrschte Rafaela an: »Ich will allein sein. Ich muss nachdenken. Und wenn sie kommt, dann will ich sie sofort sehen. Hast du mich verstanden?«
Rafaela biss sich auf die Unterlippe. »Es kann alles eine Verwechslung sein«, sagte sie leise. »Wir sollten abwarten, was die Doña zu sagen hat.«
»Halt den Mund«, brüllte Hermann, und Rafaela zuckte unter der Wucht seiner Worte zusammen. »Die Sache mit den Kleidern ist eindeutig genug. Mehr Beweise brauche ich nicht. Und jetzt geh!«
Flugs verließ Rafaela das Zimmer. Und Hermann sackte auf dem Stuhl zusammen und brach in bittere Tränen aus.
Zur selben Zeit erschien ebenfalls ein Bote im Sitz der Handelsniederlassung Groth, Jessen und Krischak. Auch er hatte ein Paket bei sich, welches er nur Joachim Groth auszuhändigen hatte.
Der Kaufmann, gewarnt und im höchsten Maße misstrauisch seit den letzten Ereignissen, ließ das Paket von dem Boten höchstselbst öffnen. Darin fand er einen kleinen Zettelblock mit Notizen über sämtliche Rumsorten, die es auf der Insel zu kaufen gab. Obendrein noch ein paar Gedanken zur Veredelung – und eine Haarspange, die er vor Jahren einmal höchstselbst Mafalda zum Geburtstag geschenkt hatte.
»Was soll das?«, herrschte er den Boten an. »Von wem stammt das?« Groth hatte natürlich auf den ersten Blick die Handschrift Mafaldas erkannt.
Der Bote schluckte. »Ein Amerikaner hat mir aufgetragen, Ihnen die Sendung zu überreichen. Er hat gesagt, ein Zettel liege bei.«
Hastig durchwühlte Joachim Groth die Sendung. Ganz unten fand er einen zerfransten Zettel. »Hier können Sie sehen, mit wem Sie Geschäfte gemacht haben. Studieren Sie die Rum-Notizen genau. Mafalda Fischer hat sich viel Arbeit damit gemacht.«
Obwohl der Zettel ohne Unterschrift war, wusste Joachim Groth auf der Stelle, von wem er war und auch, was er zu bedeuten hatte. Das Paket war eine offene Drohung und bedeutete, dass Groth alles verlieren würde – genau wie die Fischers – wenn er sich nicht an die Abmachungen hielt. Und die Abmachungen besagten klar und deutlich: keine Hilfe, keine Unterstützung für die Fischers.
»Mist!«, fluchte er leise vor sich hin. »Mist und verdammter Mistkerl.«
Groth ließ sich in seinen Schreibtischstuhl sinken, stützte das Kinn in die Hände und dachte darüber nach, was Rick Woolf mit den Fischers vorhatte. Es lag auf der Hand, dass er sie hasste. Aber Groth konnte sich beim besten Willen keinen Grund dafür vorstellen und schon gar keinen, der den Amerikaner dazu bewog, nicht nur den Besitz der Familie zu zerstören, sondern ganz hinterhältig und leise auch deren gesamtes Leben. Dann aber fiel sein Blick auf Mafaldas Notizen. Sorgfältig las er Wort für Wort, wenn auch ihre Schrift zusehends unleserlicher wurde. Mit einem Mal stieß er einen überraschten Pfiff aus. »Das ist es«, murmelte er vor sich
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