Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
dass in den Augen der dicken Frau die Gier glomm.
Er winkte ab. »Danke. Der Schmuck meiner Frau und die Wertsachen bereiten mir die geringsten Sorgen.«
Der Bürgermeister zuckte mit den Schultern. Unsicher wirkte er. Und ängstlich.
»Wir fahren dann, wenn wir nichts für Sie tun können«, erklärte er. »Gott schütze Sie und Ihr Haus.«
Hermann winkte zum Abschied leicht. Ein feines Lächeln, kaum zu sehen, lag auf seinen Lippen. Er hatte den Bürgermeister immer für einen Schwächling gehalten. Jetzt hatte er den Beweis.
Hermann schloss die Fenster auf der Stadtseite und zog die Vorhänge vor. Er hatte keine Lust, noch mehr Weiße still und heimlich fliehen zu sehen. Und er hatte vor allen Dingen keine Lust, aufgefordert zu werden, seine Besitztümer in Sicherheit zu bringen.
Er sah sich im Salon um. Über dem Kamin prangte eine Uhr aus Meißener Porzellan, die an einigen Stellen mit Blattgold überzogen war. An den Wänden hingen schwere Bilder in mächtigen Goldrahmen. Es hieß, zwei davon seien von niederländischen Meistern. Hermann verstand nichts von solchen Dingen. Die Bilder gefielen ihm nicht einmal. Sie hingen nur dort, weil sie schon immer dort gehangen hatten und weil sie einen gehörigen Eindruck auf die Besucher machten. Sollte er sie abhängen und in den Keller bringen? Nein. Er lächelte. Sollten die düsteren Schinken in ihren protzigen Goldrahmen doch gestohlen werden! Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich die niederländischen Meister an den Wänden der Sklavenhütten vorstellte. Er dachte an sein Schreibtischset unten im Arbeitszimmer. Versilbert, schön ziseliert, angeschafft nicht von ihm, sondern von seinem Vorgänger Don Alvaro. Alle Dinge im Haus, selbst die Bettwäsche, in der er schlief, hatte Don Alvaro erworben. Und all diese Dinge konnte er nur genießen, wenn sie die Augen der Gäste zum Leuchten brachten, wenn der Neid in ihren Blicken funkelte, aber noch nie im Leben, das wurde ihm jetzt und hier klar, hatte er etwas »besessen«. Genau das war ja sein Dilemma. Jetzt begriff er es! Jetzt!
Alles, was ihn umgab, alles, vielleicht sogar auch Mafalda, hatte er nicht als zu ihm gehörend angesehen, sondern als Dinge, die er zu Unrecht besaß. Geliehen im besten Fall. Er musste kichern und erschrak zugleich über den blechernen Klang seiner Stimme. Sollten sie sich doch hier bedienen. Sollten sie nehmen, was immer sie wollten. Sollten sie die Meißener Uhr in ihre Hütten stellen. Ihm war das egal. Er war ruhig, gelassen, wenn auch nicht frei von Angst. Das, was er wirklich liebte, war in Sicherheit. Mafalda und Titine.
Er hatte keine Ahnung, wie viele Stunden er schon durch das Haus lief, wie viele Karren und Droschken mittlerweile an seinem Haus vorübergezogen waren. Er war ruhig. So ruhig und gefasst wie seit langem nicht mehr. Beinahe kam er sich vor wie ein Verbrecher, der froh war, dass er endlich vor Gericht stand und für seine Taten bestraft wurde.
Und plötzlich wurde es laut. Von einer Sekunde auf die nächste brach die Hölle los. Trommeln erklangen, Rasseln wurden geschwungen, dumpfe Gesänge ertönten. Hermann schloss die Augen und lauschte. Er lebte lange genug mit den Schwarzen zusammen, um ihre Rituale zu kennen. Verstehen allerdings würde er sie nie. Doch er wusste, was jetzt im Hüttendorf geschah. Die Männer hatten sich weiße Streifen auf die schwarzen Gesichter gemalt, zumindest die Yoruba-Leute. Dann würde eine rote, geschnitzte Statue an das Hauptfeuer getragen werden. Chango, der Orisha des Krieges. Die anderen Männer schmückten jetzt ihre schlanken Trommeln mit Schellen und bunten, meist roten Bändern, während die Frauen, gemessenen Schrittes und allesamt in weiße Kleider gehüllt, ihre Hütten verließen und in einem weiten Kreis um das Feuer und den Kriegsgott Aufstellung nahmen. Ein Summen und Brummen würde aus ihren Kehlen kommen, dunkel, geheimnisvoll, bedrohlich und doch so altbekannt und furchteinflößend wie der Tod. Die Luft über dem Sklavendorf würde erfüllt sein vom Rauch des Feuers, in das Kräuter gestreut worden war, vom Duft der Orangen und reifen Guaven, Opfergaben für Chango. Dann setzten endlich die Trommeln ein. Hermann lächelte. Es klang, als würde ein heftiger Regen gegen die Fensterscheiben klopfen, doch das hier war weit mehr als ein Regen, weit düsterer, bedrohlicher. Es war eine Kriegserklärung. Der Rhythmus der Trommeln schwoll an, brauste wie ein Orkan durch die Nacht, drang in jedes Haus, in
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