Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Titel: Sterne der Karibik: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrice Fabregas
Vom Netzwerk:
jedes Ohr, verdoppelte, verdreifachte sich, raubte jeden Gedanken, war nur Rhythmus, der die Beine zappeln ließ und die Arme schlenkern – bis er in einer Stille mündete, die nicht weniger gespenstisch war.
    Hermann wurde es heiß. Er streckte zwei Finger zwischen Hals und Kragen und riss an seinem Hemd, als wäre ihm die Luft zum Atmen zu dünn geworden.
    Gerade als er den ersten tiefen Atemzug nehmen wollte, setzten die Trommeln erneut ein. Hermann wusste, was jetzt geschah. Der Sklave, der in der Hierarchie der Santeria-Religion am höchsten stand und als Babalao galt, würde in den Kreis treten und tanzen. Wenn er sich recht erinnerte, war es Herrero, der Schmied. Er würde die Arme und Beine von sich werfen, nach Luft schnappen und mit den Rasseln an seinen Beinen und in den Händen Geräusche erzeugen wie im Vorhof der Hölle. Andere Männer würden sich ihm anschließen. Sie würden tanzen, mit offenen Mündern und verdrehten Augen, in denen das Weiße nur so blitzte. Das Brummen und Summen der Frauen und die Klänge der Trommeln würden immer stärker werden, bis die tanzenden Männer in Trance verfielen. Einen würde es zuerst packen.
    Hermann griff nach dem Fernglas, dass er sich bereitgelegt hatte. Im Schutz der Vorhänge stand er am Fenster und schaute zum Sklavendorf.
    Eben noch hatte Herrero getanzt, nun zuckten seine Arme und Beine, er sprang wie ein Schachtelkasper um das Feuer, außer sich, außerhalb der Welt, im Reich der Götter. Er war es, in den der Geist des Kriegsgottes gefahren war. Er war nun kein Sklave mehr, nicht einmal mehr ein Mensch, sondern die Stimme und Gestalt Changos. Sein Körper bäumte sich auf, der Kopf schleuderte umher. Jetzt hatten die anderen Tänzer bemerkt, dass Herrero von den Göttern auserwählt worden war. Still zogen sie sich zurück, stellten sich neben die summenden, brummenden Frauen, stimmten in deren Singsang ein und ließen keinen Blick von dem, in den der Kriegsgott gefahren war. Zuckend stand Herrero da, die Zunge hing ihm aus dem Mund, die Pupillen waren in den Schädel gerollt, so dass nur das Weiße sichtbar war. Er züngelte wie eine Giftschlange, zischte und fauchte, jenseits dieser Welt, irgendwo in einem Raum ohne Zeit und Zukunft. Gebannt starrten die anderen Sklaven auf den Mann. Endlich, endlich begann er zu schreien. Keine Sätze, keine Worte, nur Laute, tierisch und dunkel, gefahrvoll und getragen von den Urgeheimnissen Afrikas. Dann kam der Älteste und goss das Blut eines Opfertieres über den Mann in Trance. Herrero schüttelte sich, so dass das Blut nach allen Seiten spritzte und dessen Duft den Geruch der Guaven und Orangen übertrumpfte. Die Frauen traten hervor, streckten die Arme in den weißen Kleidern aus, um etwas von dem Blut zu erhaschen. Sie leckten sich die Lippen, strichen sich über die Körper, wanden sich wie in Ekstase, wie in einem gespenstischen Liebesspiel.
    Der Älteste packte den Rasenden beim Arm und führte ihn hinter eine Hütte. Dort würde Herrero ihm mitteilen, was Chango, der Kriegsgott, den Sklaven verkündete.
    Die anderen Schwarzen riefen ihre Orishas an. Jetzt vernahm auch Hermann den Geruch von Blut. Dampfendes, dunkelrotes Ochsenblut, dessen Gestank bis zu ihm ins Herrenhaus strömte. Hatten sie die Tiere auf der Weide als Opfertiere geschlachtet? Jetzt hörte er deutlich ein Rind brüllen. Die anderen fielen ein, auch die Maultiere begannen zu schreien, die Pferde wieherten. Dazwischen krakeelten ein paar Hühner. Und darüber dröhnten die dumpfen, unheilvollen Gesänge der Sklaven.
    Er stand noch immer am Fenster, den brennenden Blick durch das Fernglas auf das Sklavendorf gerichtet. Noch war es zu dunkel, um die Felder hinter dem Sklavendorf zu erkennen, aber nun flammten Feuer auf. Überall. Und noch ehe Hermanns Augen die vielen Feuer verfolgen konnten, wusste er, dass sein Ingenio in Flammen stand.
    Er seufzte. Das brennende Zuckerrohr dauerte ihn nicht. Nein, es schien ihm nur so ungeheuer dumm und überflüssig, dass die Sklaven das, was sie selbst mit der Arbeit ihrer Hände geschaffen hatten, im Schweiße ihres Angesichts, unter Mühen und Schmerzen, nun selbst vernichteten. Was soll das?, dachte er und fühlte sich mit einem Schlag müde. Warum vernichten sie, was sie zu ihrem Eigentum hätten machen können? Aber dann fiel ihm ein, dass er wie ein Geschäftsmann dachte, der von Freiheit nichts verstand und schon gar nichts davon, wie man sich die Freiheit erkämpfte.

Zwölftes Kapitel
    E s

Weitere Kostenlose Bücher