Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
geschmuggelt. Jetzt weiß ich, dass ich schon seit Jahren auf diesen Tag gewartet habe.« Er sah seinen Freund an. »Das heißt aber nicht, dass ich darauf vorbereitet bin.«
»Was wirst du tun?«, wollte der Arzt wissen.
Hermann zuckte mit den Schultern. »Ich werde genau das tun, wozu Mafalda mir geraten hat. Ich werde meine Sklaven morgen früh in die Freiheit entlassen. Das heißt, wenn mir noch die Zeit dafür bleibt. Ansonsten werde ich hier ausharren und sehen, wie sich alles entwickelt.« Er lächelte, und Dr. Winkler erwiderte dieses Lächeln. »Man könnte meinen, du freust dich auf den Kampf.«
»Ja, das tue ich auch. Ich bin entschlossen, das Richtige zu tun. Ich werde die Schwarzen freilassen, werde den Ingenio, wenn er mir bleibt, so bewirtschaften, dass wir alle davon profitieren.«
»Und dein Geld?«
Hermann wies mit der Hand in Richtung Meer. Dorthin, wo die Kaimaninseln lagen. »Ich habe es aus dem Land geschafft. Nach Amerika, auf die Kaimans, einen kleinen Teil sogar nach Deutschland. Selbst wenn die Pflanzung bis auf den letzten Zuckerrohrhalm niederbrennt, stehen wir nicht vor dem Ruin.«
»Du setzt auf Amerika, nicht wahr?«, wollte Dr. Winkler wissen.
»Ja. Das tue ich. Spanien ist weit weg. In den Kolonien gärt es. In Amerika aber liegt die Zukunft. Schau dir nur an, wie dieses Land wächst. Der Bürgerkrieg ist noch nicht lange zu Ende, trotzdem blüht die Wirtschaft. Ihr Bedarf an Zucker, Tabak und Kaffee wird stets größer. Mir wäre es sogar am liebsten, wenn Kuba eines Tages zu Amerika gehören würde. Es ist immer besser, sich mit dem Stärksten zu verbünden.«
Der Arzt kam nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben. Das Hausmädchen Dolores, von Mafalda geweckt, brachte zwei mittlere Schrankkoffer.
Dr. Winkler erhob sich. »Titine wird unsere Hilfe brauchen.«
Sie war noch nicht fertig. Noch nicht einmal mit dem Anziehen. Titine fühlte sich schwach auf den Beinen, ihre Hände zitterten, überhaupt fühlte sich ihr ganzer Körper zittrig an. Aber es war nicht nur das Zittern der Schwäche; sie zitterte vor Glück. Als Mafalda sie geweckt hatte, sie aus dem grauen Laudanum-Nebel zurück an das Licht geholt hatte, da war Felas Kette in ihrer Hand gewesen. Sie wusste, dass es nichts gab, das für Fela wertvoller war als diese Kette. Sein Vater hatte den Löwen erlegt, als Fela noch ein kleiner Junge gewesen war, er hatte es ihr berichtet. Monatelang war das Tier um das Dorf der Yoruba geschlichen, hatte sich immer mal wieder ein Schaf geholt. Die Yoruba achteten den Löwen, bewunderten seine Stärke, doch als er ein Kleinkind erjagt hatte, kamen die Männer des Dorfes zusammen. Sie beschlossen, dass der Stärkste unter ihnen das Tier töten sollte. Mit einer Armbrust, deren Pfeil an der Spitze mit Gift getränkt war. Felas Vater wurde ausgesucht. Nächtelang lag er auf der Lauer. Und eines Nachts gelang es ihm, den Löwen zu erlegen. Als Belohnung durfte er sich aus dessen Zähnen eine Kette machen. Doch Felas Vater schenkte jedem seiner fünf Söhne einen Zahn. »Damit die Kraft des Löwen in euch dringt«, sagte er. Seither trug Fela den Zahn an einem Lederband. Er hatte auf dem Sklavenschiff eine Prügelei angefangen, als ein anderer ihm die Kette stehlen wollte. Er hatte sie verborgen, als er auf das Verkaufspodest steigen musste. Er trug sie stets unter seinem einfachen Kittel, hütete sie als seinen größten Schatz. Und nun hatte er ihr die Kette geschenkt. Damit die Kraft des Löwen auf sie überging. Auf sie und das Kind, das sie unter dem Herzen trug. Jetzt wusste Titine, dass er sie liebte. Über alle Maßen, ganz gleich, was er gesagt hatte. Die Kette strafte seine Worte Lügen. Und sie hatte verstanden, dass er sich von ihr losgesagt hatte. Aber das musste nicht für immer sein. Eines Tages würde sie ihn wiederfinden, und dann würde sie ihn niemals wieder gehen lassen. Sie wusste das mit so großer Sicherheit, dass keine Macht der Welt sie vom Gegenteil überzeugen konnte. Sie sehnte sich nicht mehr nach dem Tod, nach dem Sterben. Jetzt hatte ihr Leben wieder einen Sinn bekommen. Sie würde das Kind, Felas Kind, mit Freuden zur Welt bringen, würde es großziehen und lieben, so sehr sie überhaupt nur konnte. Alles andere war ihr gleichgültig. Mochte die ganze Insel in Flammen aufgehen, mochte jedes einzelne Zuckerrohr zerbrochen werden. Solange die Liebe in ihrem Herzen war, würde sie alles ertragen.
Trotz ihrer Schwäche straffte sie die Schultern,
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