Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
vornehme Bar ansteuerten. Als hätte ein Magier seinen Zauberstab geschwungen, war die Straße vor ihr plötzlich leer und verlassen. Selbst die Sonne hatte einen Wolkenschleier wie einen Vorhang vor ihr glühendes Gesicht gezogen.
Wind kam auf und riss an ihrem Kleid, zerrte an ihrem Hut. Am Horizont türmten sich dicke, schwarze Wolken, aus denen es beständig grummelte.
Mafalda war zum Weinen zumute. Sie hätte sich am liebsten auf einen Poller am Hafen gesetzt und sich hemmungslos ihrer Verzweiflung hingegeben. Aber nun wirbelte der Wind allen Schmutz der Straße auf wie ein Kind im Blätterwald. Das Donnern kam näher, wurde eindringlicher. Sie musste sich beeilen, wenn sie trocken nach Hause kommen wollte, aber es gelang ihr einfach nicht, ein Bein vor das andere zu setzen, einen Schritt nach dem anderen zu tun. Sie blieb stehen, hatte mit einem Mal kein Ziel mehr, keinen Plan, keine Zukunft. Wie festgewachsen stand sie, ließ sich von den letzten, eilig nach Hause Strebenden anrempeln, und als der Regen wie ein Wasserfall vom Himmel prasselte, sie bis auf die Haut durchnässte, da hob sie den Blick hinauf zu den Wolken und flehte stumm um Hilfe.
Sie kam vollkommen durchnässt nach Hause. Das Wasser lief ihr aus den Haaren, aus den Kleidern, hinterließ Pfützen, wo sie ging und stand. Aber so sah niemand, dass sie weinte.
Dolores, das Hausmädchen, das ihnen von Trinidad nach Havanna gefolgt war, schrubbte den Boden trocken, brachte Handtücher. Und Mafalda ließ das Wasser aus ihren Haaren weiter mit dem Wasser aus ihren Augen die Wangen hinunterlaufen. Erst als Hermann nach ihr rief, wischte sie sich das Gesicht trocken, schlüpfte in ein frisches Kleid und betrat sein Arbeitszimmer.
»Wir sollten den Brennmeister entlassen«, erklärte er knapp. »Ich traue diesem Burschen nicht. Wahrscheinlich ist er schuld daran, dass es unserem Rum am gewissen Etwas mangelt.«
Mafalda setzte sich in den Ledersessel, faltete die Hände im Schoß und schwieg, doch Hermann bemerkte es gar nicht. Seit sie das Zimmer betreten hatte, hatte er sie nicht angesehen, hatte ihre Nässe nicht bemerkt, nicht ihre Verzweiflung. Sie seufzte. So ging das nun schon seit zwei Jahren. Er sprach nicht mit ihr, sondern zu dem stillen Publikum, das sie darstellte. Sie war schmal geworden in den letzten Monaten, aber auch das hatte Hermann nicht interessiert. Manchmal fragte sie sich, ob er es überhaupt merken würde, wenn an ihrer Stelle das schwarze Hausmädchen hier säße.
»Und dieses Kontor ist kein Kontor, es ist nur ein Verschlag. Wir sollten uns nach besseren Räumlichkeiten umsehen. Wenn Mister Carpenter wieder einmal in Havanna ist, würde ich mich schämen, ihn in diesem Kontor empfangen zu müssen.«
»Mister Carpenter kommt nicht«, flüsterte Mafalda.
»Gut, dann kommt er eben derzeit nicht über das Meer, aber das Kontor ist trotz allem eine Zumutung. Ich habe kaum Atem holen können da drinnen.«
Mafalda schluckte. Und mit einem Mal konnte sie ihr Leid nicht mehr länger allein tragen. Sie wollte Hermann vor allen Übeln verschonen, Gott wusste, dass es so war, aber jetzt war ihr, als müsste sie daran ersticken.
»Mister Carpenter kommt nie mehr«, stieß sie hervor.
»Nun, er ist ein mächtiger Mann, hat einigen Einfluss in Miami und New York. Er kann sich nicht um alles selbst kümmern. Ich weiß, wie das ist, das kannst du mir glauben. So wird er eben einen Gesandten schicken. Und ich sage dir, diese Gesandten sind am Ende noch schlimmer als der Chef selbst. Wie auch immer. Wir brauchen neue Räumlichkeiten. Womöglich ist auch unser Wohnhaus nicht mehr repräsentativ genug. Es ist groß, das ist richtig, aber die Gegend ist nicht die beste. Gleich nebenan eine Hafenbar, aus der tagein, tagaus die betrunkenen Matrosen fallen. Von den Mädchen, die an den Hausecken stehen und ihre Brüste vorrecken, als wären sie Schleppkähne, will ich gar nicht reden. Das Wichtigste aber ist, dass dieses Arbeitszimmer einen neuen Anstrich braucht. Auch der Schreibtisch wird allmählich zu klein. Was sagst du? Soll ich das Zimmer dunkelrot malen lassen oder ziemt sich ein dunkles Grün besser für einen Rumfabrikbesitzer? Zu gern wüsste ich, wie die Bacardís in Santiago ihre Räumlichkeiten haben. Es soll schließlich niemand auf den Gedanken kommen, wir wären schlechter gestellt als diese hinterwäldlerischen Schnapsbrenner.«
Mafalda starrte auf Hermanns Rücken, sah seine Hand, die mit dem Bleistift auf den Tisch
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