Sterne im Sand
Unruhestifter aufzunehmen.
Jagga war ein Überlebenskünstler. Das Ehepaar Smith war gut zu ihm gewesen, so daß er keine Angst vor den weißen Bossen kannte, und das kam ihm hier zugute. Er konnte sich nicht mehr an seine frühen Jahre auf Springfield erinnern und spürte nur eine unbestimmte Sehnsucht nach seiner Mutter Nioka, doch er hatte einen Traum. Wann immer neue Leute ins Lager kamen, stand Jagga am Tor und betrachtete aufmerksam die Kinder. Er gab nie die Hoffnung auf, daß Bobbo und Doombie eines Tages in sein Leben zurückkehren würden, seine eigentliche Familie.
Nur wenige Wochen, nachdem die Aufseherin Giles das Armenhaus verlassen hatte, herrschte unter den Damen vom Wohltätigkeitsverein helle Aufregung, da ihre Nachfolgerin alles andere als geeignet war – eine grobe Frau ohne Erfahrung in der Krankenpflege, die außer ihrer täglichen Inspektionsrunde nur wenige Pflichten übernahm. Sie pochte auf ihren Status, anstatt sich um die Mißstände zu kümmern, die sie offenbar gar nicht zu bemerken schien. Wenn die Damen nach ihr fragten, war sie oft gerade nicht im Dienst, und das zu den unterschiedlichsten Tageszeiten. Beschwerden beim Direktor landeten nur wieder bei der Frau, die sie betrafen, da er sich angeblich nicht für sie zuständig fühlte. Zudem wurde getuschelt, daß sie eine persönliche Freundin dieses Herrn sei und er ihr diesen Posten verschafft habe.
Pläne zur Schließung dieser Einrichtung verstaubten in den Schubladen des Wohnungsbauministeriums, nachdem sie endlos zwischen dem Gesundheitsministerium, der Wohlfahrtsbehörde und den Ämtern, die für die regierungseigenen Einrichtungen zuständig waren, hin und her geschickt worden waren.
Schließlich geschah wie durch ein Wunder doch etwas. Der Direktor und seine Aufseherin wurden beide entlassen. Ein Verwalter wurde eingesetzt, und mit ihm kam eine strenge, junge Aufseherin. Beide waren entschlossen, ein Zeichen zu setzen, und stürzten sich in die praktische Arbeit. Kammerjäger desinfizierten das Gebäude, Zimmerleute und Maler folgten. Dank einer Initiative der Damen und mehrerer Kirchenkomitees rollten ganze Wagenladungen mit frischer Bettwäsche und Decken vor dem Armenhaus an.
Für die Insassen bedeutete dies eine ungeheure Hilfe, und die Mitarbeiter waren überaus zufrieden, doch ein bescheidener Angestellter hatte keinen Grund zur Freude. Der neue Verwalter schien keinen Assistenten zu brauchen, da die männlichen Angestellten seiner Ansicht nach nur unnötigen Platz beanspruchten. Die Frauen konnten kochen, putzen, nähen und bekamen weniger Gehalt. Daher behielt er nur ein paar Männer da.
Buster war auf einmal wieder arbeitslos und suchte seine Schwester Molly auf, um ihr die traurige Nachricht zu überbringen.
Die ehemalige Aufseherin nahm es gelassen auf. »Das ist Pech, aber du darfst dich jetzt nicht gehenlassen und wieder nach der Flasche greifen. Du kannst bei mir und Doombie leben. Und hier im Vorort gibt es mehr als genug Gelegenheitsarbeiten für dich.«
»Aber wie sollen sie dort ohne mich zurechtkommen?« sorgte sich Buster. »Da sind die beiden Krüppel, die ich immer in die Sonne hinausgetragen habe, und die alte Mrs. Sparkes, die zu fett ist, um etwas zu tun, und Polly, die Verrückte, die vor allen außer mir Angst hat. Ich habe ihr immer das Essen gebracht. Was sollen sie nun ohne mich anfangen?«
»Still jetzt. Die neuen Leute sind nett, sie werden sich darum kümmern. Du hast deine Arbeit sehr gut gemacht, ich bin stolz auf dich …«
»Ehrlich?« fragte er strahlend. »Ich dachte, das hätte nie einer bemerkt.«
»Ich schon. Ich wußte deine Arbeit zu schätzen, und das ist die Hauptsache. Wir haben unsere Pflicht getan.«
»Das mag wohl stimmen.«
Weitaus mehr sorgte Molly sich um Doombie, den beide sehr liebten. Sie traute sich in diesem Moment nicht, ihrem Bruder zu gestehen, daß sie für sein Leben fürchtete, da er zwar ein zufriedenes, aber kränkliches Kind war.
Nach einer Weile fiel es auch Buster auf. »Warum läßt du ihn nicht zum Spielen rausgehen?«
»Er kann auf den Hof, wenn er möchte, aber im Augenblick ist er zu müde dazu.«
»Er ist immer müde. Und so mager. Der Junge wächst, du mußt ihm genug zu essen geben.«
Das hatte Molly getan. Doombie bekam das Beste vom Besten – Milch, Eier, dicke Suppe, Koteletts und soviel Gemüse, wie sie nur auftreiben konnte. Er aß gern, nahm aber einfach nicht zu. Morgens setzte sie ihn in eine Decke gewickelt auf
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