Sterne im Sand
aufgesprungen war.
»Es geht nicht um den Boß«, keuchte Hannah. »Es sind die Schwarzen. Minnie hat einen hysterischen Anfall, und vor der Hintertür steht eine ganze Horde von ihnen.«
Als Nioka an jenem Abend ins Lager zurückgekehrt war und die verworrene Geschichte über die Freunde vom Boß hörte, die ihren Sohn, ihren Neffen und Doombie für eine Fahrt im Wagen mitgenommen hatten, war sie verärgert, aber noch nicht beunruhigt. Minnie würde ihnen schon etwas zu essen geben. Die Brodericks hatten nichts dagegen, wenn kleine Kinder auf ihrem Besitz herumliefen, und den Heimweg kannten die Jungen ja.
Doombies Eltern, die ebenfalls an der Sammelexpedition teilgenommen und einen Sack mit den Lieblingsbeeren ihres Sohnes mitgebracht hatten, zeigten sich da schon weitaus besorgter. Sie befragten die schwangere Djallini und hörten von ihr das Wort ›Schule‹.
Das reichte aus, um Gabbidgees Mißtrauen zu wecken. Er war nicht mehr jung und hinkte, seit er sich vor einigen Jahren das Bein gebrochen hatte. Er mußte am Fluß bleiben, wo das Leben einfacher war, während die körperlich kräftigeren Männer umherzogen. Doombie stammte aus der Verbindung mit seiner zweiten Frau. Seine anderen Kinder waren schon erwachsen und zum Teil davongezogen, doch Doombie hütete er wie seinen Augapfel. Auch aus diesem Grund war er auf Springfield geblieben, wo Doombie unter dem Schutz des weißen Bosses stand.
Gabbidgee wußte, was eine Schule war, doch er verstand nicht, was das mit ihnen zu tun haben sollte. Die weißen Jungen hatten Unterrichtszimmer und Lehrer und gingen irgendwann weg auf die Schule. Schwarze Kinder hingegen nie.
Bei Einbruch der Dämmerung teilte er Nioka seine Befürchtungen mit. Sie wollte sofort zum Haus aufbrechen, doch Gabbidgees Frau hielt sie zurück.
»Du bleibst hier. Minnie sagt, wir sollen hierbleiben, wo der Boß so krank ist. Der Doktor wurde gerufen.«
Die anderen rissen erstaunt die Augen auf. Sie alle kannten Dr. Tennant, da er oft ins Lager kam, um nach ihnen zu sehen und ihnen Medizin zu geben. Allerdings mußte man schon sehr krank sein, wenn er eigens herbeigerufen wurde.
»Er ist schon hier«, warf jemand ein. »Er kam diesen Morgen mit Rupe angeritten. Vielleicht liegt der Boß ja im Sterben.«
Nun wirkte selbst Nioka eingeschüchtert.
»Gut«, sagte Gabbidgee, »ihr bleibt alle hier. Ich sehe mich mal um, ohne daß es jemand merkt. Ich suche nach dem Wagen.«
Im Gebüsch fand er die Wagenspuren und folgte ihnen. Trotz des Hinkens bewegte er sich erstaunlich schnell. Gabbidgee erwartete, daß die Spuren zum großen Haus führen würden, doch sie bogen an der Abzweigung in die andere Richtung ab. Seine Füße orientierten sich im Dunkeln an den Furchen im dicken Staub, doch um sicherzugehen, hockte er sich nieder und untersuchte die Spur. Er hoffte, zwei Spuren zu finden. Dann würde er wissen, daß der Wagen nur bis zum Haupttor und wieder zurück gefahren war. Jemand hatte nämlich gesagt, der Betmann habe die Jungen bloß zu einer Spazierfahrt eingeladen. Doch es gab nur diese eine Spur.
Voller Sorge lief er die Allee hinunter und konzentrierte sich auf die Spur der Räder, da auch andere Pferde diesen Weg entlanggekommen waren. Die Furchen wurden jetzt flacher; der Wagen mußte seine Fahrt beschleunigt haben. An dieser Stelle bog eine Straße, die hauptsächlich als Viehweg genutzt wurde, nach links ab. Eine andere mit grasbewachsenem Mittelstreifen durchquerte das Tal. Seine Augen suchten im feinen, roten Staub nach den flacheren Eindrücken der Wagenräder. Er erhob sich und starrte auf die lange, verlassene Straße hinaus.
Wohin mochten sie gefahren sein? Es gab keine Schulen hier in der Nähe, und die nächsten Nachbarn lebten in der entgegengesetzten Richtung. Sie waren schon den ganzen Tag unterwegs und müßten eigentlich längst zurück sein. Gabbidgee kratzte sich am Kopf und rückte den Kordelgurt zurecht, der auf seinen schmalen Hüften saß und den Laplap genannten Lendenschurz an Ort und Stelle hielt. Vielleicht hatten sie einen Unfall gehabt. Manchmal verloren Wagen auf den holprigen Straßen die Räder. Waren sie den Weißen nicht oft genug zu Hilfe gekommen deswegen? Doch warum hatten sie sie dann nicht auch heute geholt? Warum suchten ihre Reiter nicht nach den Vermißten? Das war alles sehr geheimnisvoll. Er kehrte mit seinen Neuigkeiten ins Lager zurück.
»Das reicht«, erklärte Nioka. »Ich gehe zu Minnie und frage, wo sie sind. Mir ist es
Weitere Kostenlose Bücher