Sterne über Cornwall: Roman (German Edition)
verheimlicht hat. Im Moment ist das Gefühl, sie verraten zu haben, stärker als die Wut auf mich selbst.«
Maddie nickte.
»Ich war ein halbes Jahr in den Staaten, als sie mir gestanden hat, dass sie krank ist. Sie hat die Krankheit heruntergespielt. Ich wollte zwei Monate später an Weihnachten nach Hause fliegen. Bis dahin, meinte sie, würde sie allein zurechtkommen. Sie hat mich angelogen.« Er schluckte. »Dumm, wie ich war, habe ich ihr geglaubt. Claire wollte nicht, dass irgendjemand von ihrer Krankheit erfährt. Sie lag im Sterben, und ich wusste es nicht, obwohl ich ihr Mann war.« Er senkte den Blick.
»Wie schrecklich. Warum hat sie es dir nicht gesagt?«
»Keine Ahnung. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum sie meinen Heiratsantrag angenommen hat, obwohl sie wusste, dass sie krank war.«
Maddie musste an ihre eigenen Jugendträume denken. Welches Mädchen wünschte sich keine weiße Hochzeit mit einem attraktiven Mann?
»Ihr war klar, wie sehr mir der körperliche Verfall meiner Mutter zu schaffen gemacht hatte. Ich bin nicht allzu gut damit fertiggeworden.« Er lachte trocken.
Sie legte den Arm um ihn.
»An Weihnachten war sie tot. Und ich bin nicht heimgeflogen, weil ich zu wütend auf sie und alle hier war. Ich war dumm.«
»Mark, wie schrecklich.«
»Ich, ihr Mann, bin zu ihrer Beerdigung nicht nach Hause gekommen, und ich hatte sie in der Krankheit im Stich gelassen. Die Leute hier hassten mich, zu Recht. Weil ich nicht zurückwollte, ist aus Chicago irgendwann L. A. geworden und dann London. Ich habe so vieles verpasst – die Hochzeiten meiner Schwestern, die Taufen, einfach alles. Ich bin erst vor fünf Jahren nach Cornwall zurückgekehrt, um mich meiner gerechten Strafe zu stellen.«
»Warum hattest du das Gefühl, bestraft werden zu müssen?«
»Weil ich Schuld auf mich geladen hatte. Ich habe ihr als Ehemann nicht zur Seite gestanden, obwohl ich geschworen hatte, sie zu lieben, zu ehren und zu beschützen. All das habe ich nicht getan.«
»Wie hättest du das machen sollen, wenn du nicht Bescheid wusstest?« Sie zog ihn näher zu sich heran.
»Das ist keine Entschuldigung. Jeder andere Mann hätte den ersten Flieger nach Hause genommen.« Er wischte sich die Tränen weg.
»Hinterher ist man immer klüger. Du hast es nicht gewusst.«
»Wollte ich es nicht wissen? Habe ich nur gehört, was ich hören wollte? Wollte ich alles? Die schönste Frau und die bestmögliche Karriere?« Ihm brach die Stimme.
»Du warst jung.«
»Im Rückblick habe ich mir oft gewünscht, dass wir nie geheiratet hätten. Ich war wütend auf sie, weil sie mich nicht aufgeklärt hat. Sie hat mir keine Wahl gelassen, mich zu einem verachtenswerten Subjekt gemacht. Wie ich sie gehasst habe! Das macht alles noch schlimmer.«
»Nein, es macht dich menschlich.« Maddie legte die Hände um sein Gesicht und küsste ihn. Da hörten sie jemanden rufen.
»Mark! Maddie!«
Mark stand auf. »Hier.«
Fred lief auf sie zu.
»Tom geht’s schlecht.«
25
F urcht umschloss ihr Herz wie eine eisige Faust, als Hannah seine gelbe Haut sah. Diesen Anblick kannte sie. OT lag flach atmend auf dem Sofa. Hannah hatte eine Decke über ihn gebreitet.
Als sie am Morgen nach einer grässlichen Nacht voller Albträume zu ihm gekommen war, hatte sie die Tür verschlossen vorgefunden.
Hannah ahnte, was OT fehlte. Bestimmt hatte er Krebs. Sie kannte die gelbe Gesichtsfarbe von ihrem Dad. Warum schon wieder?
Als sie die Küchentür hörte, sprang sie auf, warf sich in Maddies Arme und ließ den Tränen freien Lauf. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass Mark Maddie begleitete, aber das war ihr im Moment egal.
»Ich sehe nach ihm«, sagte Mark, während Maddie der laut schluchzenden Hannah tröstend über Kopf und Rücken strich.
»Ich hab den Notarzt gerufen«, presste Hannah zwischen zwei Schluchzern hervor.
Sie spürte, wie Maddie nickte. OT durfte nicht sterben. Sie brauchte ihn, denn er glaubte an sie und vertraute ihr; um einen Ausdruck von ihm zu verwenden: Er achtete sie.
»Wie lange wird’s dauern, bis die Sanitäter kommen? Sollen wir irgendwas machen?«, fragte Maddie mit leiser Stimme, ohne Hannah loszulassen.
»Sie haben gesagt, sie sind in zwanzig Minuten da. Wir sollen ihn warm halten.«
Hannah hasste Krankenhäuser, und nun musste sie wieder in einem warten. Zwischen Mark und Maddie herrschte merkwürdige Distanz. Dass sie so ein trauriges Gesicht machten, hatte bestimmt nicht nur mit OT zu tun.
Tamsin
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