Sterne über Cornwall: Roman (German Edition)
»Alles okay, danke. Hast du Hannah gesehen?« Maddie bemühte sich, ruhig zu klingen.
»Ja, sie redet mit meiner Schwester.«
Maddie hob fragend eine Augenbraue.
»Wills Mutter.« Mark nahm sie am Ellbogen und schob sie von den Leuten weg, die die Kirche verließen. »Soll ich dich zu Tamsin mitnehmen?«, erkundigte er sich.
»Ich bin selber mit dem Wagen da.« Sie wandte sich von ihm ab. »Ich muss sehen, was Hannah macht. Keine Ahnung, was sie vorhat.«
»Weißt du das denn je?« Er legte eine warme Hand auf ihren Arm.
»Nein.« Maddie ließ seufzend den Blick über die Gläubigen schweifen. »Sie sammelt da drüben die Liedtexte ein. Wer hätte das gedacht?«
Er nahm die Hand von ihrem Arm, und sie ging gegen den Strom in die Kirche. Als sich ihre Brust wieder zuschnürte, zwang sie sich, tief durchzuatmen und sich ins Gedächtnis zu rufen, dass die Kirche von Manaccan völlig anders aussah als das schlichte moderne Gotteshaus in London. Nur nicht reinsteigern, dachte sie. Gott würde sie schon nicht gleich mit einem Blitz niederstrecken. Obwohl ihr das gar nicht so unrecht gewesen wäre.
»Hannah.«
Hannah hob den Blick von den Liedtexten.
»Alles in Ordnung?«, fragte Maddie sie. Hannah starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Soll ich dich mitnehmen?«
»Nein.« Hannah wandte sich einer grauhaarigen Frau zu.
Maddie hastete mit gesenktem Kopf aus der Kirche, um ihre Tränen zu verbergen. Der Klang fröhlicher Stimmen erfüllte die Luft, als sie an der Autotür rüttelte. Verdammt. Verdammte Hannah Hollis.
Im Wagen ließ sie den Tränen freien Lauf. Keiner sollte mitbekommen, wie Hannah an ihrem Nervenkostüm kratzte. Es war Hannahs und Johns Schuld. Für sie hatte sie genau das gemacht, was niemals zu tun sie geschworen hatte, und nun musste sie sich von Hannah auslachen lassen. Ihrer Mutter Nancy hatte diese Möglichkeit ebenfalls freigestanden, aber sie hatte sie nicht ergriffen.
Ihr Handy gab einen Piepston von sich. In der Kirche hatte sie einen Anruf von Gunnar verpasst. Weil sie im Moment nicht mit ihm reden wollte, schickte sie ihm eine SMS.
Wünsch dir fröhliche Weihnachten. Freu mich schon auf ein Wiedersehen.
Kinder zogen »We Wish You a Merry Christmas« singend an ihr vorbei. Maddie versuchte laut schluchzend ihren Schmerz zu verdrängen. Bei der Heirat mit John hatte sie gedacht, sie würde irgendwann einmal selbst Kinder haben. Jetzt hatte sie eine Stieftochter, die sie hasste. Was war falsch gelaufen? Es gelang ihr nicht mehr, das überwältigende Gefühl der Abneigung gegenüber dem Teenager in den Griff zu bekommen. Hatte Hannah ihren Hass von Anfang an gespürt? Maddie schlug mit der flachen Hand gegen das Lenkrad. Sie musste loslassen und sich mit ihrem jetzigen Leben anfreunden.
Tamsins Gäste amüsierten sich bei funkelnden Lichtern hinter angelaufenen Fenstern. Maddie straffte die Schultern und trat ein. Mit ein bisschen Glück konnte sie sich in eine dunkle Ecke verziehen. Weihnachtslieder dröhnten aus den Lautsprechern, und jemand drückte ihr ein Glas in die Hand. Entspann dich, Maddie, dachte sie. Hier drin war so viel los, dass sie überhaupt nicht auffiel. Sie zog den Mantel aus und trank einen Schluck. Mark nahm ihr den Mantel ab.
»Nicht, was du erwartet hattest?«, fragte er.
»Nicht ganz. Wie viele Leute sind da?« Maddie ließ den Blick über die Menge schweifen.
»Viele. Manche schauen nur kurz vorbei. Das ist so Brauch hier.«
»Das sehe ich. Genauso viele junge wie alte Leute.«
»Stimmt. Hannah war schon vor uns da.« Mit einem Blick auf ihren Mantel sagte er: »Den bringe ich nach oben.«
»Danke.« Während Maddie auf der Suche nach Tamsin in die Menge eintauchte, überlegte sie, wie lange sie bleiben musste, bevor sie sich unauffällig wieder davonmachen konnte. Ihre Freundin hatte sich viel Mühe gegeben, und sie wollte sie, obwohl sie nicht in Feierlaune war, nicht enttäuschen. Warum war sie nicht einfach bei Tom geblieben? Das hätte eher ihrer Stimmung entsprochen.
Maddie schob sich in die Küche, wo auf allen verfügbaren Oberflächen Häppchen standen. Tamsin zog gerade den Kopf aus dem Ofen.
»Könntest du das Tablett rausbringen und irgendwo einen Platz dafür suchen?«, fragte Tamsin.
»Klar. Frohe Weihnachten übrigens.« Maddie küsste Tamsin auf die Wange.
»Was ist denn mit deinem Auge passiert?«
»Das erzähl ich dir später.« Maddie brachte das Tablett ins andere Zimmer, wo sie einen freien Tisch fand. Dann
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