Sterne über Tauranga - Laureen, A: Sterne über Tauranga
brennenden Augen. Die Wäsche würde nicht weglaufen.
Ricarda rannte in ihr Zimmer, legte die Schürze ab und schnappte sich die Visitenkarte, die sie auf ihren Schreibtisch gelegt hatte. Es konnte nicht schaden, sich Beistand zu suchen - besonders, wenn sich gleich drei Männer gegen einen verschworen hatten.
Mary Cantrells Haus, das im klassizistischen Stil aus Stein errichtet war, bildete neben dem Governement Building den zweiten glanzvollen Höhepunkt der Willow Street. Ob diese stattlichen Weiden vor dem Eingang der Straße den Namen gegeben haben?, fragte Ricarda sich, während sie die Treppe hinaufstürmte.
Sie strich sich den Rock glatt, der noch nicht wieder trocken war, und schob sich ein paar lose Haarsträhnen hinter die Ohren. Dann atmete sie tief durch und betätigte die Klingel. Das Läuten echote durch die Eingangshalle und erinnerte sie an ihr Elternhaus.
Es dauerte nicht lange, bis Schritte ertönten. Ricarda hätte mit einem Dienstmädchen gerechnet, doch ein Mann mittleren Alters in der Kleidung eines englischen Butlers öffnete die Tür. Er musterte sie von oben herab und fragte dann: »Sie wünschen, Miss?«
»Ich würde gern Mrs Cantrell sprechen.«
»In welcher Angelegenheit?«
»In einer privaten«, entgegnete Ricarda, denn sie hatte nicht vor, dem Butler die gesamte Geschichte zu erzählen. Außerdem war sie viel zu wütend und aufgekratzt, um mit jemandem zu sprechen, der keine Ahnung von dem Drumherum hatte.
»Ist schon in Ordnung, Martin, ich habe die Dame eingeladen.«
Die Hausherrin war unbemerkt hinter dem Butler in der Eingangshalle aufgetaucht.
Sie trug ein aprikosenfarbenes Nachmittagskleid mit weißen Rüschen, was ihrer Erscheinung Jugendlichkeit verlieh. »Doktor Bensdorf, schön, Sie zu sehen!«
Ricarda hob die Hand zu einem unsicheren Winken.
Der Butler verbeugte sich und öffnete die Tür so weit, dass Ricarda eintreten konnte. »Herzlich willkommen, Madam.«
Zu einer anderen Gelegenheit hätte Ricarda dieses Verhalten amüsant gefunden, denn der Diener schien geradewegs einem englischen Roman entsprungen zu sein, doch jetzt schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie versuchte sich ein wenig abzulenken, indem sie den Blick durch die Halle schweifen ließ. So groß wie die ihres Elternhauses war sie nicht, aber ebenso prächtig. Neben der Treppe entdeckte Ricarda einen Diwan, der noch aus napoleonischer Zeit zu stammen schien und von exotischen Kübelpflanzen flankiert wurde. Darüber hing ein Gemälde in einem schweren Goldrahmen, das Bildnis eines Mannes, der triumphierend den Fuß auf den Kopf eines erlegten Löwen gestellt hatte. Ein kristallener Kronleuchter beleuchtete die Kulisse.
Wenn sie all das aus England mitgenommen hat, wird sie für die Überfahrt wohl ein eigenes Schiff gebraucht haben, fuhr es Ricarda durch den Kopf, und der Gedanke erhellte ihr Gemüt ein wenig.
»Kommen Sie, Doktor Bensdorf, gehen wir in meinen Salon!« Mary Cantrell lächelte gewinnend und führte Ricarda hinein.
Das Wort »Salon« hatte noch immer einen seltsamen Klang in Ricardas Ohren. Aber der Raum war eine angenehme Überraschung, denn er ähnelte dem ihrer Mutter in keiner Weise. Er erinnerte mit den zahlreichen Topfpflanzen eher an einen Wintergarten. Ricarda entdeckte Zitronen- und Orangenbäumchen, aber auch Pflanzen, die sie noch nie gesehen hatte. Einige hatten bizarr geformte Blüten, andere fleischige dunkelgrüne Blätter. Sogar eine Palme reckte sich dem kuppelförmigen Glasdach entgegen.
»Mein Mann und ich haben einen Hang zum Außergewöhnlichen, wie Sie sehen«, erklärte Mary Cantrell, als sie Ricardas Staunen bemerkte. »Vermutlich weil wir eine Zeitlang in Afrika gelebt haben. Neuseeland finde ich allerdings noch wesentlich interessanter. Sie müssen unbedingt mal in den Busch und nach Kiwis Ausschau halten, diese Vögel sind so etwas wie nationale Heiligtümer.«
Ricarda musste zugeben, dass sie die Engländerin beneidete. Sie hatte offenbar einen Ehemann, der sie weder zähmen noch brechen wollte. Ganz im Gegenteil, er reiste mit ihr und hatte auch nichts dagegen, dass sie sich in der Frauenbewegung engagierte. Wahrscheinlich hätte er auch nichts gegen ein Studium seiner Frau einzuwenden gehabt, wenn sie es denn gewollt hätte.
»Setzen Sie sich doch!« Mary deutete auf die Korbmöbel in der Mitte des Raumes, deren dicke orangerote Kissen sehr einladend wirkten. Ein kleiner Tisch, dessen Fuß ebenfalls aus Korbgeflecht bestand, trug eine
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