Sternenfaust - 115 - Der Feind im Verborgenen
vorsichtig, unsicher. Sein Puls beruhigte sich langsam wieder, aber das plötzliche Gefühl des Befremdetseins blieb, hatte sich in ihm verbissen, wie ein mantidischer Larvling in den Selenballen des Eis, aus dem er frisch geschlüpft war.
Wieder sah er die Frau gegenüber an. Sie schien seelenruhig zu lesen. Jason sah, wie ihre Augen den Zeilen auf dem kleinen Datenpad folgten, wie sie Reihe für Reihe abtasteten und stellte sich vor, wie die Buchstaben sich in ihrem Kopf zu Worten zusammensetzen.
Einzelne Punkte und Striche, die ein Ganzes bilden. Nichts anderes sind Buchstaben , durchfuhr es McVellor. Schon seltsam, wie das Gehirn so eine komplexe Aufgabe bewältigen kann.
Er versuchte, sich von dem eben Erlebten abzulenken und seine Irritation abzuschütteln, indem er sich diesen Vorgang des »Worteformens«, bildlich vorstellte.
Buchstaben wurden zu Wörtern. Wörter wurden zu Sätzen. Sätze wurden zu Absätzen, zu ganzen Texten … zu einer Einheit, einer undurchdringlichen Masse, verdichtet, verklumpt, zusammengeschmolzen zu einem schwarzen Etwas aus Druckerschwärze oder Tinte oder …
HALT!
Was war nur mit ihm los? Jeder Gedanke, der ihm in den Kopf schoss, schien sich in irgendetwas Bedrohliches, Angst einflößendes zu verwandeln. Dabei war er doch gerade noch bester Laune gewesen, voller Vorfreude die tolle Frau wieder zu sehen, die er gestern unter so glücklichen und besonderen Umständen kennen gelernt hatte …
»Das kommt nicht von mir!«, flüsterte er und stand ruckhaft und mit aufgerissenen Augen aus dem Sessel auf.
Irritiert ließ die wartende Frau ihr Pad sinken und betrachtete den glatzköpfigen jungen Mann, der jetzt vor sich hin murmelnd in einiger Entfernung auf und ab wanderte. Dabei fuhr er sich immer wieder über den kahlen Schädel, auf dem kleine Schweißtröpfchen blitzten. »Geht es Ihnen gut?«, fragte sie besorgt.
Jason sah gar nicht hin. »Ja, danke. Bestens«, antwortete er, während er weiter strammen Schrittes überlegend auf und ab ging.
Irgendetwas von außen wirkte auf ihn und seine Gedanken ein! Es musste so sein, was sonst sollte ihn dermaßen aus der Fassung bringen, wenn seine eigentliche Grundstimmung eine ganz andere war? Es musste etwas hier in der Nähe sein. In der Empfangshalle war es nicht, das hätte er eindeutig zuordnen können. Soviel traute er sich und seinen Fähigkeiten schon zu.
Aber vielleicht irgendwo anders in diesem Gebäude? Vielleicht gab es hier irgendwelche Arrestzellen, in denen jemand festgehalten wurde … Ein Mensch? Oder ein anderes Wesen, dessen stark empfundene Unsicherheit und düstere Stimmung unwillkürlich auf ihn abfärbte, ja, ihn sogar insofern beeinflusste, dass er seine Umgebung plötzlich als Gefahr wahrnahm?
Irgendetwas in der Art musste es sein. Auch wenn ihn die Intensität dessen, was er just erlebt hatte, vollkommen überraschte. Das war bis jetzt bei keinem Experiment so gewesen. Allerdings, wenn etwas oder jemand, der dieselben Fähigkeiten hat, möglicherweise noch ausgeprägter, in der Nähe ist – ein echter Telepath …?
Konnte das sein? Dass das Star Corps hier einen starken Telepathen gegen seinen Willen festhielt?
Oh, Polina, steckst du da in irgendwas mit drin?
*
»Sie können das Kraftfeld jetzt ausschalten, Lieutenant Stokke«, sagte der Versuchsleiter und betrachtete mit sichtlicher Spannung die Ergebnisse des Experimentes, dass sie soeben in Labor 12 durchgeführt hatten. Die Werte sahen alle äußerst viel versprechend aus.
Polina Stokke stand an einem der Wandtouchscreens, und mit ein paar schnellen Schaltungen fiel das Kraftfeld, dass sie aus Sicherheitsgründen um die Versuchsanordnung aufrechterhalten hatten, in sich zusammen.
Das Kraftfeld war Vorschrift bei Experimenten mit dem besonderen Silikatsand, denn noch immer war nicht hundertprozentig geklärt, wie es bei einem Versuch mit dem Granulat auf Vesta zu dem verheerenden Unglück gekommen war, bei dem ein kompletter Laborkomplex regelrecht zerfetzt worden war.
Möglicherweise hatte das etwas mit den Eigenschaften des Sandes zu tun, von dem man wusste, dass er ein rudimentäres Bewusstsein entwickeln konnte. Gerüchten zufolge war es sogar möglich, mit dem Sand zu kommunizieren, wenn nur eine ausreichende Menge davon vorhanden war und man einen telepathisch begabten Menschen dazu veranlasste, mit ihm in Kontakt zu treten.
Polina stand diesen Gerüchten eher skeptisch gegenüber. Hier im Labor hatte sich der Sand noch nicht
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