Sternenfaust - 115 - Der Feind im Verborgenen
sich durch den Spalt. Als er sich zu ihr umdrehte, um ihr auf die andere Seite zu helfen, rumpelte es verdächtig im gemauerten Gebäude, das sich jetzt zu seiner Linken befand. Er achtete nicht weiter darauf, fasste Polina an den ausgestreckten Händen und wollte sie durch die Enge ziehen.
Doch da geschah es. Die Wand des Gebäudes stürzte ein! Mehrere Tonnen Stahlbeton kippten zur Seite und begruben die schreiende Polina Stokke unter sich.
Jason wurde von den Füßen gerissen, als er von den an seinen Fingern festgekrallten Händen der Frau mitgezogen wurde. Augenblicke später blickten sie sich auf den sandigen Boden liegend in die Augen.
Polinas Pupillen waren vor Schreck und Schmerz so geweitet, dass sie die Farbe ihrer Augen komplett verdrängten. »Zieh mich raus! Oh, verdammt, meine Beine!«
Jason ließ sie los und rutschte auf den Knien zu ihr heran. Ein Gefühl von ohnmächtigem Déjà-vu überkam ihn, als er das Mädchen, das ihm doch so viel bedeutete, in derselben Situation dort liegen sah, wie die dicke tote Frau am Hügel vorhin. Nur das diese Frau hier nicht tot war.
Noch nicht.
Von rechts näherte sich die Feuerwand. Unerbittlich brannte sie alles nieder, griff auf alles über, was sich in der Reichweite der Flammen befand. Schon schlug ihm die Hitze heiß ins Gesicht. Die Baracke, die unter der Last der umgekippten Mauer beinahe vollkommen eingestürzt war, war über einen Holzsteg mit einer anderen Hütte neben ihr verbunden, welche bereits lichterloh brannte.
Wenige Sekunden später stand der Steg in Flammen und dessen trockenes Gehölz wirkte wie ein Streichholz.
Das war der Moment in dem Polina zu kreischen anfing. »Zieh mich hier raus! Sofort! Das Feuer, es …« Der Rest ging in einem Husten unter, denn der auffrischende Wind trieb eine Rauchschwade in ihre Richtung.
Jason McVellor rieb sich die brennenden Augen, ergriff dann Polinas ausgestreckte Hände und begann wie verrückt daran zu zerren. Die junge Frau schrie gequält auf, bewegte sich allerdings keinen Zentimeter unter der umgestürzten Mauer hervor.
Schweiß und Tränen liefen ihm über das Gesicht. »Ich schaff es nicht! Tut mir leid, es … es geht nicht!«, schrie er sie an.
Verzweifelte Wut auf die Situation erfasste ihn. Er ließ das kleine Kind oben am Rand der Schutthalde stehen und rutschte zu Polina herunter. Hastig begann er, die Steine, die ihren Körper bedeckten, wegzuräumen. Doch es gelang ihm nicht. Immer wieder rutschte der Schutt nach.
Polina schluchzte. Dann brachen die Schreie des Lieutenant abrupt ab. Ihr Gehirn konnte die angst- und schmerzvollen Impulse, die es durchströmten, nicht weiter verarbeiten und hatte Stokke in eine gnädige Ohnmacht sinken lassen.
Verzweifelt schlug McVellor mit den Fäusten in den Sand. »Warum hilft mir denn niemand?«, rief er mit tränenerstickter Stimme. »Ich brauche Hilfe!«
Er sah sich um, im Sand kniend, den erschlafften Arm von Polina Stokke haltend.
Andere Menschen rannten rechts und links seiner Position auf den Zaun zu, krallten sich an dessen Maschen fest und kletterten in die Höhe. Auf der anderen Seite ließen sie sich die etwa vier Meter einfach herunterfallen. Viele humpelten danach einfach weiter. Nur weg von der Hölle, der sie entkommen waren.
»Hilfe!«, schrie Jason, der das alles wie ein Zeitlupe wahrnahm.
Doch niemand kam.
Lieutenant Polina Stokke kam nicht mehr zu sich. Als Jason schließlich die Hitze nicht mehr aushielt, wich er langsam von der ohnmächtigen Frau zurück. Irgendwann drehte er sich um und sah nur noch den Zaun vor sich. Mechanisch schob er das Kind hinauf, das mittlerweile alles apathisch mit sich machen ließ und kletterte selbst, wie die anderen, daran empor und ließ sich auf die andere Seite fallen.
Der Aufprall war hart, und McVellor prellte sich eine Hüfte, aber er merkte den Schmerz nicht. Sein ganzer Körper war taub, als er sich auf dem Boden mit dem Gesicht in die Richtung rollte, aus der er gekommen war.
Alles stand in Flammen. Der gesamte äußere Ring des Township schwelte vor sich hin. Eine Todesfalle.
Eines der Opfer hatte er geliebt …
*
Regierungsgebäude der Solaren Welten, New York, Erde
Der Ratsvorsitzende des Hohen Rates, Jasper Mitchell, saß in seinem Büro in der »Grünen Gurke«, wie man das Regierungsgebäude der äußerlichen Form wegen auch nannte, und brütete vor sich hin.
An ihm nagte noch immer die empfindliche Schlappe, die er bei der letzten Sitzung des Rates hatte
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