Sternenfaust - 124 - Das Geheimnis der Schriften (1 of 2)
Mortimer persönlich angeführt wurde, hatte sich routiniert rund um das Hochplateau verteilt, das scheinbar eigens für den Tempel aufgeschüttet worden war. Auch wenn Yefimov hin und wieder mit den Händen Signale zu geben schien, zu hören war nichts – die Marines sprachen auf einer besonderen Frequenz miteinander, die für die Wissenschaftler nicht freigegeben war.
Mary Halova bewunderte die Fähigkeit des Colonels, die Marines so zu platzieren, dass sie nicht auffielen und auch die Alendei weder behelligten noch sonst irgendwie in Erscheinung traten. Die zehn schwer bewaffneten Soldaten, die seit ein paar Stunden Dienst taten, schienen auf der Ebene, auf der sich das Plateau befand, förmlich zu verschwinden. Dabei gab es hier weit und breit nur die rund 30 Meter hohen Säulen, die auf dem künstlichen Plateau standen. Die Ebene unter dem Tempel schien vollkommen leer. Die nächsten Berge oder Hügel, über denen die Planetenringe jetzt im hellen Sonnenlicht eher zu erahnen denn zu sehen waren, befanden sich laut den Messungen von Sam Kowalski, dem Shuttle-Piloten und der Ortung der STERNENFAUST rund 50 Kilometer entfernt.
Bis dahin gab es nur Wüste und das Lager der STERNENFAUST-Besatzung darin. Brauner, steiniger Sand, aber kein Felsen, nichts, das größer war als ein Springball. Leilanii hatte ihr vorhin kurz bedeutet, dass dieser Ort, der jetzt so uralt und ausgestorben aussah, wohl früher anders, ein Mittelpunkt blühenden Lebens, gewesen war. Die Linguistin erinnerte sich an ein Gespräch, dass sie kurz vor der Mission mit dem Christophorer Izanagi geführt hatte. Er hatte sich an den Besuch eines Mitbruders erinnert, der bereits einmal hier gewesen war. Meister William, so hieß er wohl, glaubte, sich daran zu erinnern, dass er eine kurze Vision des Tempels gehabt hatte, als dieser noch mitten in einem blühenden Dschungel stand und rege besucht worden war.
Ich sage immer »Tempel«. Dabei weiß ich nicht einmal genau, was es eigentlich ist , dachte Mary und starrte die nächstgelegene Säule an, die etwa drei Meter von ihr entfernt in den Himmel ragte, an dem die Aditi-Sonne jetzt langsam unterzugehen begann. Das Material der Säulen, von dem die Linguistin nicht wusste, was es war – am ehesten ließ es sich noch mit Alabaster vergleichen –, schien im Licht der untergehenden Sonne, in dem die Ringe immer deutlicher zu sehen waren, von innen heraus zu leuchten und den darauf eingravierten Zeichen eine unheimliche Lebendigkeit zu verleihen.
Mary Halovas Blick suchte zwischen den Säulen und fand schließlich, wen sie suchte: Leilanii. Die Erdanaar – nein, Alendei, verdammt! Irgendwann lerne ich das noch – saß jetzt im Schneidersitz vor einer der Säulen. Im ersten Moment erschrak Mary, denn wie die anderen Alendei auch trug Leilanii keinen Raumanzug. Ganz im Gegensatz zu den Menschen, die einen solchen in der dünnen Luft des Planeten benötigten, schienen sich die Alendei allein durch ihre geistige Kraft gegen die unwirtlichen Bedingungen auf diesem Planeten schützen zu können. Beneidenswert , dachte Mary und ging vorsichtig zu Leilanii hinüber. Die Chronistin der Alendei hatte die Hand ausgestreckt und an den wie poliert wirkenden Stein gelegt. Trotz des leicht heulenden Windes, den Mary dank des empfindlichen Helmmikrofons hören konnte, lagen die langen, glatten und schwarzen Haare der Alendei ruhig auf ihrem Rücken.
Ihre weiße Hand lag auf einer der wenigen Stellen an der Säule, an der zu Mary Halovas Überraschung kein Zeichen zu sehen war. Die Fläche schien glatt und genau passend für eine menschliche Hand und ihre fünf Finger zu sein. Leilanii hatte die Augen geschlossen und war offenbar in eine Art Trance verfallen.
Mary wagte sie nicht zu stören und hielt gebührenden Abstand.
Doch als sie die Säule jetzt genauer betrachtete, sog sie scharf den Atem ein. Die Zeichen schienen sich leicht zu bewegen! Es schien, als seien sie lebendig geworden. Sie schienen die Säule entlangzuwandern, ja, geradezu zu marschieren, stellenweise sogar durcheinanderzuwirbeln und neue Positionen zueinander einzunehmen, und sich ständig neu zu gruppieren. Leilaniis Hand schien ein Teil dieses unendlich langsam vor sich gehenden Tanzes der Hieroglyphen geworden zu sein. Die Schriftzeichen, die sie bisher nicht hatte entziffern können, schienen auf die zierliche Gestalt der Alendei zuzuwandern und in ihr zu verschwinden.
Lieutenant Mary Halova blinzelte heftig und sah noch einmal genauer
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