Sternenfaust - 148 - Herrscher der Orphanen (2 of 2)
dass vom kridanischen Reich überhaupt etwas übrig bleiben würde. Er verstaute den Sender wieder sicher.
»Der Raisa ist tot«, murmelte er. »Kridania wird in Schutt und Asche gelegt und die Flotte fliegt ihrem Verderben entgegen. Dies ist unsere schwerste Stunde!«
Aber noch waren sie nicht tot. Noch gab es für sie eine Chance zu überleben, für sie ganz persönlich.
»Die Gewölbe!«, krächzte Letek-Kun laut. »Rivin-Tur, wir müssen herunter in die Gewölbe unter dem Palast. Egal, was passiert, nirgends ist es so sicher wie dort. Auch wenn das Gebäude zerstört wird …« Er stockte bei diesem Gedanken. Der Palast stand seit uralten Zeiten an dieser Stelle, mit seinem Bau war noch zu Zeiten des ersten Raisa begonnen worden. Er war ein Monument für die Ewigkeit. Er war unvergänglich wie die Macht des einen Gottes! Gott konnte nicht zulassen …
Die Luft wurde Letek-Kun aus den Lungen gerissen, als die Außenwand des Raumes explodierte. Dort, wo sie vor wenigen Augenblicken noch auf dem Balkon gestanden hatten, schien in Sekundenbruchteilen das Mauerwerk zu zerbröckeln und wie bei einem Tornado in die Luft gerissen zu werden. Der Krach, der dabei ertönte, wurde so laut, dass Letek-Kuns Gehör einfach aussetzte. Der Priester war taub und sah in völlig unpassender Stille, wie die Welt hinter der nicht mehr vorhandenen Wand nur noch aus Feuer zu bestehen schien.
Der sturmartige Luftzug zerrte ihn nach vorne.
Letek-Kun stürzte.
Mit Fuß- und Handkrallen musste er sich in den Teppich des Raumes stemmen, um nicht von dem Sturm weggeweht zu werden.
Ein direkter Treffer, direkt im Außenbereich vor dieser Seite des Palastes! , schätzte Letek-Kun nüchtern die Lage ein, obwohl er pausenlos schrie. Nicht einmal das hörte er in seinem Kopf. Seine Sinne waren allesamt wie betäubt.
Das Feuer und die Hitze sorgten dafür, dass der Sauerstoff der direkten Umgebung zu den lodernden Flammen hingezogen wurde. Offenbar war die Strömung der Atmosphäre so stark, dass – zusammen mit der Wucht des Einschlags – nichts ihr Widerstand leisten konnte. Selbst die massive Wand des Palast des Blutes …
Am Boden liegend schaute Letek-Kun auf die dunkle Silhouette Rivin-Turs, die wie bei einem Gebet vor ihm kniete.
Ihre Zunge und ihr Schnabel formten anscheinend den Namen ihres Geliebten. Ihre Gesichtshaut glänzte von blassrosa Tränen. Kraftlos ließ sie die Flügelarme hängen, jedwede Spannung war aus ihrem Körper gewichen.
»Halt dich irgendwo fest!«, kreischte Letek-Kun. »Rivin-Tur! Kriech zu mir! Wir können es schaffen! Wir …«
»Nein«, formte der Schnabel der jungen Ei-Legerin.
Dann war plötzlich wieder alles Feuer.
Hätte Letek-Kun noch etwas gehört, er hätte einen erneuten Knall wahrgenommen, als offensichtlich unweit des ersten Einschlags eine weitere Energielanze der Apri in den Palast donnerte. Bevor der Priester die Augen niederschlug, damit sie nicht geblendet wurden, sah er noch, wie der Körper Rivin-Turs emporgerissen und aus dem Palast geschleudert wurde.
Auf den Netzhäuten Letek-Kuns hatte sich das Bild eines in den lodernden Flammen vergehenden Schattens eingebannt. Als er spürte, wie der Sog nachließ, entspannte er seine Muskeln für einen Moment. Er öffnete die Augen, sondierte die Lage und erlaubte sich nicht, an das Schicksal der Ei-Legerin zu denken. Nicht jetzt.
Wenn er überleben wollte, dann musste er fort von hier. Er kroch auf den Ausgang des Raumes zu, so lange, bis er sich stark genug fühle, sich aufzurichten.
Während er durch den von Erschütterungen bebenden Palast hetzte, über Trümmerstücke, Scherben und brennende Heilige Schriften sprang, brachen links und rechts von ihm immer wieder Mauern weg. Flammen leckten aus geborstenen Fenstern und Türen, und beißender Rauch versperrte die Sicht.
Die Tränen, die er in Trauer um Rivin-Tur vergoss, spülten ihm den Staub aus den Augen. Als er die Treppe zum Gewölbe hinab stürzte – vor ihm sah er weitere Priester und Tanjaj, die in die unterirdischen Gänge huschten – fegte ihn ein Luftstoß von den Krallenfüßen. Kopfgroße Steine polterten die Treppe herunter.
Während Letek-Kun die Stufen herabfiel und sich dabei schmerzhaft den Kopf anstieß, gingen um ihn herum flackernd die Lichter aus.
*
ERLÖSER, Zweiter Raum
Danur-Tak klackerte zufrieden die Handkrallen aneinander. »Ausgezeichnet!«, krächzte er. Alles lief nach Plan. Er stand auf der Brücke der ERLÖSER, dem Flaggschaff der
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