Sternenfaust - 152 - Am Scheideweg (2 of 2)
Grundgütiger, er stirbt!«
»Verflucht, Chrissie, stehen Sie hier nicht rum und sagen mir, was ich ohnehin sehe. Tun Sie lieber etwas, damit sich das ändert!«
Ashkono Tregardes barsche Worte waren genau das, was die junge Laborassistentin hatte hören müssen, um aus ihrer Schockstarre zu erwachen. Sofort griffen die antrainierten Reflexe wieder und ließen sie so funktionieren, wie sie es sollte.
Und doch …
Er stirbt. Ihr so unbedachter und gerade deswegen so grauenvoll wahrer Ausruf hallte in Turanors Kopf wider wie das Echo einer Totenglocke. Izanagis Totenglocke.
»Wir haben Ihre neue Welt offensichtlich keine Sekunde zu früh erreicht«, murmelte Captain Mulcahy. Der junge Offizier von der STERNENFAUST stand neben Turanor und betrachtete das Geschehen auf der Krankenstation seines Schiffes mit der gleichen Mischung aus Sorge und Resignation, wie ihm auch der oberste Alendei beiwohnte. Nur ohne die Schuldgefühle, die an Turanor nagten, seit Izanagi vor diesem zu Boden gegangen war. Seit der Schrei des jungen Erdenmannes zum Ventil des Schmerzes eines gesamten Volkes geworden war.
Kamiors Suizid – und wie schmerzhaft war es, allein diesen Gedanken zu formulieren! – war der Gedankengemeinschaft der Alendei noch immer Quell unsäglichen Leids, doch Izanagis Bereitschaft, einen Teil von Turanors Schmerz mit ihm zu teilen, hatte ihrem Anführer zumindest die Möglichkeit zurückgegeben, wieder Herr seiner Handlungen zu sein und bewusste, rationale Entscheidungen zu treffen. Die Pein und das Loch, das Kamiors Tod verursacht hatten, waren immer noch da, aber Izanagis Einsatz wegen überlagerten sie nicht länger Turanors Verstand.
Sondern den seines menschlichen Gefährten.
»Neuralwerte liegen bei achtzig Prozent über der Norm. Tachykard bei 160. Doktor, das ist eine absolute Arrhythmie.« Chrissie Changs Blick ging zwischen dem zuckenden, schweißnassen Leib des Patienten und der über diesem schwebenden, holografischen Darstellung seiner Biowerte hin und her. Turanor war kein Mediziner, aber er nahm wohl die Dringlichkeit der Situation wahr. Es ging um Izanagi Naradas Leben.
»Patient ist zyanotisch«, rief Ashkono Tregarde über das Plärren der laut Alarm schlagenden Medo-Scanner, damit auch seine Worte vom elektronischen, im Hintergrund laufenden OP-Protokoll verzeichnet werden konnten. »Kaltschweißig. Leichter Blutausfluss aus beiden Ohren, flatternde Augenlider. Verdammt, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir hätten es mit einem klassischen Grandmal-Anfall zu tun. In dem Fall wüsste ich, wie ich ihn behandeln muss. Aber das hier ist kein Gehirnkrampf. Das hier ist mehr …«
Plötzlich wurde das Plärren lauter. Die 3D-Projektion von Naradas Körper war wie ein Querschnitt, zeigte Organe und Blutbahnen, Nervenstränge und Knochen – allesamt verbunden mit ikonografischen Schautafeln, die die Mediziner durch Berührung vergrößern und anhand derer sie die betreffenden Biowerte ablesen konnten. Nun hatte der Bereich rot zu blinken begonnen, der Izanagis Lunge symbolisierte.
Chang reagierte sofort. »Beide Lungenflügel kollabieren!«
Hektische Betriebsamkeit prägte jede ihrer Bewegungen, und auch die der drei anderen um Naradas Biobett versammelten Mediziner. Jeder Handgriff saß, jede Geste war zielgerichtet und Resultat langer Erfahrung. Turanor musste diese Menschen nicht kennen, um zu wissen, dass sie es gewohnt waren, um Leben zu kämpfen. Doch wann immer er in ihre Augen sah, spürte er, dass sie diesen Kampf bereits für verloren hielten.
Dennoch gaben sie nicht auf. »Thoraxdrainage, schnell!«, bellte Dr. Tregarde. »Bereiten Sie den medizinischen Laser vor, dreiviertel Stärke. Verflucht, warum dauert das denn so lange?«
Befehle wurden gerufen, und der Bordcomputer setzte sie in Taten um. Izanagis blasser, aufgedunsener Leib zuckte so stark, dass das Team der Krankenstation ihn mittels vom Biobett ausgehender Kraftfeld-Stränge sichern musste. Andernfalls hätte jeder chirurgische Eingriff ein untragbares, unkalkulierbares Risiko bedeutet.
»Sie schaffen es«, murmelte Mulcahy, dem Turanors Gesichtsausdruck nicht entgangen zu sein schien. »Sie haben es noch immer geschafft. Keine Sorge.«
Turanor sah die beruhigenden Gesten Mulcahys, die ihm bedeuteten, dass alles in Ordnung käme. Allerdings spürte er die unterschwellige Nervosität des Mannes, die eine andere Sprache zu sprechen schien.
Izanagi , dachte der oberste Alendei. Was haben wir nur getan
Weitere Kostenlose Bücher