Sternenfeuer
»Null. Springen!«
19
Dr. Bendagar, Professor Rheinhardt, der Chef-Exobiologe des Projekts, Lisa Arden und Mark Rykand saßen in der Transit-Lounge an Bord der Äquatorialstation und sahen die Erde regelmäßig im Sichtfenster vor sich auftauchen. Sie waren zur Tanger-Konferenz unterwegs und reisten inkognito. Alle trugen Touristenkleidung, soll heißen, sie waren normal angezogen.
»Ist ein gutes Gefühl, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, was?«, fragte Rheinhardt. Der Biologe machte kein Hehl aus seiner Abneigung gegen die Mikrogravitation. Er hatte seit dem Beginn des Projekts zwanzig Pfund verloren und freute sich auf Mahlzeiten, die nie das Innere einer Automatikküche gesehen hatten. Wenn er nun noch ein Treffen mit seiner Frau zu arrangieren vermochte, solange er auf der Erde war, wären die Dinge vollkommen.
»Ich weiß nicht«, entgegnete Lisa. »Ich liebe es irgendwie, mich so treiben zu lassen.« Einen definitiven Vorteil hatte die Mikrogravitation ihrer Ansicht nach - denn sie musste heute zum ersten Mal seit Wochen wieder einen Büstenhalter tragen.
Raoul Bendagar seufzte. »Ich stimme Ben zu. Der Mensch ist eben nicht dafür geschaffen, sich in jeder Umgebung zu bewegen. Außerdem wird es gut tun, wieder frische Luft zu atmen.«
Die anderen schauten ihn an, wie er sich auf einer pneumatischen Couch rekelte. Fast ein ganzes Jahr lang hatte der Wissenschaftler nur die Atmosphäre des Schiffs geatmet. Er hatte die Gelegenheit verpasst, Neu-Eden zu betreten und seit der Rückkehr des Raumschiffs nach Sol PoleStar nicht verlassen.
Lisa freute sich auch darauf, Luftmoleküle zu atmen, denen nicht die mannigfaltigen Gerüche anhafteten, die in einer geschlossenen Umgebung entstanden. Und einen Geruch würde sie schon gar nicht vermissen; sie hatte sich zwar schon lange an Sar-Say's Ausdünstungen gewöhnt, sodass sie sie nicht mehr bewusst wahrnahm. Dennoch war es gut, Luft zu atmen, die nicht mit Eau de Taff geschwängert war. Sie hatte aber das Gefühl, dass Sar-Say sie seinerseits auch nicht »riechen« konnte.
Die offiziellen Einladungen zur Tanger-Konferenz waren vorige Woche rausgegangen. Die meisten Anwesenden stammten von den Universitäten und Denkfabriken, die man teilweise in das Geheimnis eingeweiht hatte. Ein Dutzend Wissenschaftler an Bord der PoleStar waren auch eingeladen worden. Als Vorsichtsmaßnahme und zur Tarnung reisten sie jedoch auf drei verschiedenen Routen zur Konferenz an. Mark Rykand hatte einige Strippen ziehen müssen, um der Gruppe von Lisa Arden zugeteilt zu werden.
Sar-Say war natürlich nicht eingeladen worden. Davon abgesehen, dass es Aufsehen erregt hätte, wenn er auf der Konferenz erschienen wäre, waren die Biologen sich immer noch nicht ganz sicher, ob das Infektionsrisiko null war. Es hatte lange Diskussionen darüber gegeben, ob diese Vorsichtsmaßnahme nun dem Schutz der Menschheit vor Sar-Say diente oder eher umgekehrt.
Wie auch immer, jeder, der von PoleStar zur Erde zurückkehrte, war auf Herz und Nieren untersucht worden. Eine Person mit einer Schniefnase hatte die Station nicht verlassen dürfen. Welche Krankheit auch immer er sich zugezogen hatte, er musste sie erst auskurieren, bevor er wieder in die Biosphäre der Erde eindringen durfte.
»Hier kommt unser Schiff«, sagte Lisa und wies nach oben, wo ein gepfeiltes Raumschiff im Widerschein der feuernden Steuertriebwerke vor dem Hintergrund der sich drehenden Erde langsam größer wurde. Sie sahen die Erde rechts aus dem Sichtfenster auswandern und schauten wieder in die Schwärze des Raums. Als die Erde dann wieder ins Bild kam, war das Schiff schon merklich größer geworden. »Vielleicht sollten wir schon zur Lastenschleuse gehen.«
»Wir haben noch viel Zeit«, sagte Mark. »Sie müssen erst andocken und abladen, bevor wir an Bord gehen können. Außerdem ist das Andocken noch der beste Teil.«
Just in diesem Moment betrat ein Beamter in der Uniform des Personals der Äquatorialstation die Lounge und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Er hatte einen kleinen Computer am Koppelgürtel befestigt und hielt inne, als er die Gruppe von PoleStar entdeckte. Gleich darauf bahnte er sich einen Weg zwischen den pneumatischen Möbeln hindurch, mit denen die Lounge eingerichtet war, und blieb dann vor Bendagar stehen.
»Dr. Raoul Bendagar?«
Der Chefwissenschaftler schaute auf und nickte.
»Ich habe eine Nachricht für Sie von Ihrem Büro. Möchten Sie sie
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