Sternenkinder
feindlichem Feuer aus der Gefechtslinie beim Steinbrockenbombardement, den Flug zu Sag A Ost, den spektakulären Showdown mit dem Xeelee. Hin und wieder konsultierte er seine Besatzungsmitglieder, die Navigatorin Cohl und den Ingenieur Tuta, um Details zu klären oder Fehler zu korrigieren. Die Vorführung wurde immer wieder gestoppt; akzeptierte Klarstellungen fanden Eingang in den Entwurf der virtuellen Sequenz, und der entsprechende Abschnitt wurde erneut abgespielt.
Pirius selbst – Pirius Rot – sah aufmerksam zu. Es schüchterte ihn ein, dass eine nur wenige Jahre ältere Version von ihm zu so etwas fähig gewesen war.
Er versuchte, die Reaktion der Richter abzuschätzen. Trotz der legalistischen Szenerie verfolgten sie gebannt, wie virtuelle Miniaturraumschiffe einander durch den kugelförmigen Raum jagten. Es war zweifellos eine verwegene, wagemutige Episode, und sie schien etwas Primitives in den Herzen der Menschen zu berühren, ganz gleich, welche Rolle sie hier und jetzt spielten.
Ihm rutschte jedoch das Herz in die Hose, als er die grimmigen Mienen sah, mit denen die Richter ein Beispiel von Pirius Blaus Befehlsverweigerung nach dem anderen zur Kenntnis nahmen: wie er beim Durchbruch der Xeelee durch den Steinbrocken aus der Kampflinie ausgeschert war, wie er die Flucht ergriffen hatte, statt kehrtzumachen und sich dem Feuer der ihn verfolgenden Nachtjäger zu stellen. Selbst Dans, offenkundig eine Einzelgängerin, hatte mehr Pflichtbewusstsein gezeigt, indem sie eine Überlichtbake mit Daten über den Kampf in die Vergangenheit zurückgeschickt hatte, sodass die Militärstrategen schon ein paar Jahre im Voraus über die neue Asteroidensprengungstaktik der Xeelee Bescheid wussten.
Nilis schien das alles nicht weiter zu beunruhigen. Er nickte, murmelte Notizen in seine virtuellen Rezeptoren, voll bei der Sache, analytisch, seine blauen, wässerigen Augen hell im virtuellen Licht. Am lebhaftesten wirkte er bei der Dramatisierung von Dans’ einfallsreichem kontratemporalem Manöver. »Das ist es«, flüsterte er Pirius Rot zu. »Das ist der Schlüssel zu dem ganzen Vorfall – so überlistet man einen Xeelee!«
Als die Rekonstruktion vorbei war, beriet sich das Gericht kurz. Dann forderte der Gerichtspräsident mit einer knappen, abschätzigen Geste Nilis auf, seine Erwiderung vorzutragen.
Während Nilis seine Robe raffte und aufstand, flüsterte er Pirius Rot zu: »Siehst du diesen Blick? Er glaubt, der Prozess sei schon gelaufen. Meine Verteidigung ist für ihn nur eine Formalität. Ha! Denen werden wir’s zeigen – genauso wie Blau es diesem Xeelee gezeigt hat.«
Pirius wandte sich ab. Sein Herz klopfte heftig.
Nilis gab unumwunden zu, dass die Rekonstruktion korrekt gewesen sei. »Ich bin nicht hier, um eine Geschichte zu zerpflücken, die drei sehr ehrenwerte junge Leute ausführlich und aufrichtig erzählt haben. Und ich bin auch nicht hier, um den zentralen Vorwurf gegen Pirius infrage zu stellen: dass er im Verlauf des Geschehens Befehle missachtet hat, und zwar sowohl Dauerbefehle als auch direkte Befehle. Natürlich hat er das getan; er bestreitet es ja auch gar nicht. Und ebenso wenig bin ich hier, um Sie zu bitten, offensichtliche Tatsachen außer Acht zu lassen.«
Der alte General fragte trocken: »Weshalb sind Sie dann hier, Kommissar?« Gedämpftes Gelächter.
Nilis richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Um Sie zu bitten nachzudenken«, sagte er pompös. »Ihren eigenen Kopf zu gebrauchen – so wie Pirius es in extremis getan hat. Wir müssen über bloße Befehle hinausdenken. Wozu einen sinnlosen Befehl befolgen, wenn er das eigene Leben und das der Besatzung kosten wird und obendrein noch das Schiff, ohne dass damit auch nur das Geringste gewonnen wäre? Ist es nicht besser, diesen Befehl zu ignorieren, zu fliehen, an einem anderen Tag zurückzukehren – wie Pirius es offensichtlich getan hat – und den Kampf wieder aufzunehmen? Liegt es nicht auf der Hand, dass Pirius seine Befehle missachtet hat, um seine Pflicht umso besser erfüllen zu können?«
Pirius war schockiert. Wenn es etwas gab, was ihm seit der Geburt immer wieder eingebläut worden war, dann das: Befehle sind alles. Die finsteren Mienen auf der Richterbank zeigten ihm, wie gut diese Art von Sophisterei beim Militärpersonal ankam.
Als Nächstes analysierte Nilis detailliert Dans’ Ausführung des »Bruns-Manövers« – in seinen Worten »die geniale Verwendung einer geschlossenen zeitartigen Kurve
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