Sternenkinder
ließ, schliefen die Monaden. Sie hatten ihr Werk getan, hatten ihren Beitrag geleistet. Jetzt warteten sie auf die kostbaren Momente der fernsten Zukunft, wenn dieses seinerseits alt gewordene Universum neue Fragmente des Chaos hervorbrachte und sie wieder aufwachen konnten. Aber in ihrem epochalen Schlaf konnten selbst die Monaden in die Geschichte hineingezogen werden. Nicht einmal sie waren unverwundbar.
58
Luru Parz musterte den Kommissar mit blanker Feindseligkeit, Bleibende Hoffnung betrachtete ihn voller Verwirrung.
Nilis erzählte seine komplizierte Geschichte zu schnell und in zu kurzer Zeit. Monatelang hatte er versucht, alle Informationen über Chandra zusammenzufügen, die er finden konnte: über die Xeelee, die Quagmiten und andere Bewohner, über kosmologische Daten wie die Reststrahlung des Urknalls, über die Astrophysik des schwarzen Lochs selbst und die komprimierte Singularität in seinem tiefsten Innern – und jetzt sogar über das außergewöhnliche Artefakt, das die Xeelee um den Ereignishorizont gewickelt hatten. Und er war zu einer neuen Schlussfolgerung gelangt.
»Verstehen Sie?«, fragte Nilis triumphierend. »Verstehen Sie jetzt?«
»Nein«, raunzte Kimmer.
Diese Informationen enthielten eine Geschichte, erklärte Nilis. Und diese Geschichte sei die geheime Historie des Universums.
Nilis sagte, er habe tief in Chandras Struktur hineingeschaut und dort Leben gefunden, das selbst die Singularität im Innersten befallen habe. »Diese Tiefenbewohner – ich nenne sie ›Monaden‹, ein sehr altes Wort – sind älter als wir alle. Älter als die Xeelee, ja sogar älter als das Universum! Es wird noch eine Menge Forschungsarbeit nötig sein, bis wir Einzelheiten wissen. Allerdings steht fest, dass die Monaden für das Leben in diesem Universum verantwortlich sind. Oder vielmehr für die Tendenz dieses Universums, immer komplexer zu werden und Leben zu produzieren. Es ist eine Ebene der elementaren Gestaltung des Universums, von der niemand je etwas geahnt hat. Nun schlafen sie aneinander gekauert in ihren Nestern aus gefalteter Raumzeit, innerhalb der Ereignishorizonte schwarzer Löcher, und warten, bis unsere belanglose Zeit vorbei ist und der Moment kommt, an dem aus den Trümmern des alten ein neues Universum geboren wird.«
»Und die Xeelee…«
»Sie leben von Chandra, dem schwarzen Loch. Ihre Netzstruktur ist die große Maschine, mit deren Hilfe sie ihre Ziele erreichen: Nachtjäger zu gebären, das schwarze Loch als Rechenmaschine zu benutzen und so weiter. Aber das ist belanglos. Es kommt darauf an, was sich im Innern des schwarzen Lochs befindet. Die Xeelee sind nur Parasiten. Sekundär. Sie spielen keine Rolle!«
»Für mich spielen sie eine große Rolle«, sagte Kimmer gefährlich.
Bleibende Hoffnung glaubte zu verstehen. »Und wenn wir das schwarze Loch angreifen«, sagte er beharrlich, »könnten wir die Monaden vernichten. Ist es das, was Sie befürchten?«
»Ja«, sagte Nilis dankbar. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. »Oh, mein Junge – ja! Genau das befürchte ich.«
»Aber selbst wenn Sie Recht hätten, es gibt noch andere Galaxien. Andere Monadennester«, wandte Kimmer ein.
»Wir können nicht einfach irgendwelche Annahmen über diese Situation treffen, Marshal.« Nilis sprach schnell über Ebenen der Realität, über Interkonnektivität in höheren Dimensionen. »Wenn wir an diesem einen Ort zuschlagen, richten wir womöglich überall und für alle Zeiten Schaden an…«
Luru Parz sagte langsam: »Der Kommissar befürchtet, dass wir durch die Vernichtung der Monaden den Faden zerreißen könnten – nicht wahr, Nilis? –, den glänzenden Faden des Lebens, der Schöpferkraft, der dieses Universum mit seinem Vorgänger und seinem Nachfolger verbindet. Die Monaden zu töten wäre Vatermord – oder vielleicht sogar Göttermord.« Sie lächelte. »Ach ja, ich vergaß. In diesen aufgeklärten Zeiten habt ihr keine Götter oder Väter mehr, nicht wahr? Es passt sehr gut zu uns Menschen, dass wir, wenn wir Gott fänden, ihn nach Möglichkeit erst in eine Waffe verwandeln und dann töten würden.«
»Halten Sie den Mund, Sie altes Ungeheuer«, knurrte Kimmer.
»Aus diesem Grund habe ich Sie aufzuhalten versucht, Nilis«, sagte Luru Parz kalt. »Damit diese sinnlose Forschung ein Ende hat.«
Nilis fiel das Kinn herunter. »Sie – Sie waren das? Sie haben mich behindert, haben mir den Zugang zu den Daten und Verarbeitungskapazitäten versperrt,
Weitere Kostenlose Bücher