Sternenkinder
Macht der Psychologie niemals unterschätzen, Pirius.«
Nilis bestand darauf, dass sie zu Fuß zum Ministerium gingen – quer durch die Konurbation, eine Stadt auf der Erde, draußen im Freien. Es war eine schreckliche Aussicht, aber Pirius wusste mittlerweile, dass es keinen Zweck hatte, mit dem Kommissar zu diskutieren, wenn er eine Entscheidung getroffen hatte.
Trotzdem zögerten Pirius und Torec auf der Türschwelle von Nilis’ Wohnung. Pirius hatte sich so weit akklimatisiert, dass er bei Nilis im Garten sitzen, ja sogar draußen im Freien essen konnte, aber Torec war noch lange nicht so weit, und schließlich widersprach es ihrer gesamten Konditionierung von Kindesbeinen an, sich ohne geschlossenen Hautanzug durch Türen ins Freie zu wagen.
»Aber es muss sein«, sagte Torec grimmig.
»Es muss sein.« Hand in Hand machten sie den ersten Schritt ins Licht hinaus.
Nilis marschierte davon, eine schnurgerade Straße entlang, die zwischen den massigen Schultern von Kuppeln aus aufgeschäumtem Gestein hindurch direkt ins Herz der Konurbation führte. Sein Gewand flatterte, die wässrige Sonne glänzte auf seinem rasierten Schädel, und ein kleiner Roboter, der seine Sachen trug, bemühte sich tapfer, mit ihm Schritt zu halten. Obwohl er so darauf beharrt hatte, die äußere Erscheinung der Ensigns zu überprüfen, wirkte Nilis selbst, als käme er direkt aus seinem Dachgarten; er trug nicht einmal Schuhe.
Er schaute sich nicht um. Die jungen Offiziere mussten hinter ihm herlaufen.
Die Oberfläche der Kuppeln war glatt und poliert; in manche waren sogar andere Steinsorten eingearbeitet. Eine massive Kuppel, die mit einem cremefarbenen Stein überzogen war, glänzte hell im Sonnenlicht. »Das Versorgungsministerium«, rief Nilis über die Schulter. »Hat sich selbst zuallererst mit Marmor versorgt!«
Bis auf ein paar intelligente Fahrzeuge herrschte nicht viel Verkehr. Aber überall waren Fußgänger, selbst fern vom Boden. Stege verbanden die Kuppeln, schlängelten sich in beiläufigem Trotz gegen Schwerkraft und Logik auf vielen Ebenen durch die Luft. Miteinander plaudernde Menschen liefen die Gehwege entlang; andere wurden von Hüllen aus leuchtenden virtuellen Displays begleitet, als trügen sie ihre eigenen kleinen Welten mit sich. An manchen Stellen stiegen die Stege steil in die Höhe oder verliefen sogar senkrecht, aber die Leute eilten unbekümmert auf ihnen dahin. Sie waren so mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, dass sie die beständigen Wunder der Trägheitstechnik, die es ihnen ermöglichten, mühelos eine senkrechte Wand hinaufzulaufen, nicht einmal mehr bemerkten.
Torec murmelte leise irgendeinen tröstlichen Unsinn vor sich hin. Aber sie ging weiter. Sie hielt sich gut; und Pirius war stolz auf sie – nicht dass er es gewagt hätte, es ihr zu sagen. Man schaute nicht zum offenen Himmel hinauf, das war der entscheidende Punkt. Man dachte nicht darüber nach, in welchem Maße man der Wildnis ausgesetzt war. Man konzentrierte sich auf die von Menschenhand geschaffene Umgebung; man hielt den Blick auf die glatte Straßenfläche oder die Gebäude um einen herum gerichtet.
Einmal blieb Torec jedoch wie angewurzelt stehen. In einem Riss in der Straßenfläche zeigte sich ein Fleckchen Grün, ein Unkraut. Es war ein Stück Leben im Rohzustand, das sich durch ein Loch in der künstlichen Wirklichkeit um sie herum schob. Dank Nilis’ Garten war Pirius besser an grüne Dinge gewöhnt als Torec. Aber hier in der Wildnis war es ein seltsam erschreckender Anblick.
Während sie weiter ins dichte Herz der Stadt vordrangen, nahmen die Schwierigkeiten für die Ensigns noch zu. Die Menschen wurden auf sie aufmerksam. Sie starrten die beiden Offiziere offen an, wenn sie an ihnen vorbeigingen, zeigten auf sie und blickten von den Stegen herab. Ihre Uniformen waren alles andere als eine Hilfe; die leuchtend scharlachroten Tuniken hoben sich wie Leuchtfeuer gegen die schlichten schwarzen Gewänder im Kommissarsstil ab, die die meisten Menschen der Konurbation trugen.
Nilis grinste. »Sie haben noch nie Soldaten gesehen. Und du bist berühmt, Pirius!«
»Kommissar, das war doch gar nicht ich …«
Nilis wedelte mit einer Hand. »Vergiss diese temporalen Haarspaltereien. Für diese Leute bist du der Junge, der einen Xeelee besiegt hat. Mach dir ihretwegen keine Gedanken. Es sind nur Menschen, genau wie du.«
Torec runzelte die Stirn. »Menschen vielleicht, aber nicht so wie wir.«
Das stimmte,
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