Sternenkinder
Größe eines Spline-Sternenschiffes, und jede vergrößerte Pore in seiner gealterten Haut klaffte wie die Grube eines Geschützstands. Aber Pirius befand sich jetzt wieder im Orbit um den Saturn, und das gedämpfte goldene Licht des Planeten erfüllte das virtuelle Bild auf seltsame Weise. Und in Nilis’ riesigen Augen stand helle Verwunderung.
»Defekte in der Raumzeit«, sagte Nilis. »Das sind die Flügel eines Nachtjägers. Fehler in der Struktur der Raumzeit selbst. Und schau dir das an.«
Mit einer schwungvollen Bewegung seiner riesigen Hände rief er ein weiteres gigantisches Virt auf. Es zeigte den Xeelee-Nachtjäger im Flug, die schönen, flüchtigen, verblüffend komplexen Bewegungen seiner Flügel aus defekter Raumzeit. Nilis ersetzte das Realbild durch eine schematische Darstellung. Ein Gitterwerk überlagerte das Schiff, eine Art offener Tetraeder mit leuchtend roten Klecksen an seinen vier Ecken. Der Tetraeder durchlief einen komplexen Zyklus von Deformationen. Er schloss sich wie ein Regenschirm, seine Schenkel verkürzten sich in der Bewegung, dann verlängerten sie sich wieder, bevor der »Schirm« sich erneut öffnete und das Gitter wieder seine Ausgangskonfiguration einnahm.
»Das ist eine schematische Darstellung der Flügelbewegung«, sagte Nilis. »Siehst du, wie sie ihre Form ändern? Man muss sich die Raumzeit als das natürliche Medium des Schiffes vorstellen. Es ist wie… wie eine Bakterie im Wasser. Für ein so winziges Geschöpf ist Wasser zäh wie Sirup, und es ist schwer, in so einem klebrigen Zeug zu schwimmen, denn wenn die Rückholbewegung der Zugbewegung gleicht, landet man wieder am Ausgangspunkt. Deshalb nehmen Bakterien im ersten und zweiten Teil des Schwimmzugs unterschiedliche geometrische Formen an, um sich vorwärts zu ziehen. Das nennt man eine geometrische Phase, eine geschlossene Sequenz verschiedener Formen.
Der Nachtjäger ist so sicher in die Raumzeit eingebettet wie eine Bakterie ins Wasser, Pirius. Während seine Flügel ihre Abfolge von Formen durchlaufen, benutzen sie eindeutig eine geometrische Phase, um die Bewegung des Schiffes zu kontrollieren und zu lenken. Es ist ein Formwandlerantrieb – ganz anders als bei einer Rakete, man braucht keine Reaktionsmasse, die hinten aus dem Schiff ausgestoßen werden muss. Wirklich höchst erstaunlich. Und ganz anders als die Prinzipien, auf denen der Unterlichtantrieb der Menschen basiert.«
Pirius verstand, was er meinte, wenn auch nur ansatzweise. Von Menschen konstruierte Antriebe entfalteten ihre Schubkraft nicht durch den Druck auf die Raumzeit selbst, sondern durch den Druck aufs Vakuum, den brodelnden Quantenschaum virtueller Partikel, der den Raum erfüllte. Im Herzen eines solchen Antriebs befand sich ein aufgelöstes kristallines Substrat, das in mehrere Milliarden Vibrationen pro Sekunde versetzt wurde. Beim Durchgang des Substrats durch den Quantenschaum induzierten die fluktuierenden Kräfte des Schaums elektrische Felder in seiner Oberfläche, die wiederum durch das Aussprühen von Photonen aufgelöst wurden. Wenn man es richtig anfing, so hatte Pirius aus Lektionen auf Bildergeschichtenniveau gelernt, konnte man sich mithilfe dieser abgestoßenen Photonen vorwärts bewegen.
»Unsere Antriebe funktionieren sehr gut«, sagte Nilis, »aber sie sind langsamer als der Xeelee-Antrieb. Und sie gehen dauernd kaputt. Diese Kristalle sind teuer, und sie zerbrechen leicht.«
Pirius wusste das. Wer mehr als ein paar Lichtstunden weit reisen wollte, musste einen Haufen Ersatzkristalle mitnehmen. »Und außerdem«, sagte er langsam, »klingt die Xeelee-Methode irgendwie…« Ihm fiel nicht das richtige Wort ein.
Nilis lächelte strahlend. »Eleganter?«
»Ich glaube schon.«
»Dank deines mutigen Einsatzes heute verstehen wir die Quelle dieser Eleganz nun erheblich besser. Aber es gibt immer noch Fragen. In der Raumzeit zu schwimmen ist eine seltsame Fortbewegungsmethode. Sie funktioniert am besten in Regionen, wo die Raumzeit stark gekrümmt ist und man mehr Reibungsdruck erzeugen kann – zum Beispiel in der Nähe eines schwarzen Lochs.«
»Wir wissen doch, dass die Xeelee Chandra unsicher machen.«
»Ja, und das verrät uns einiges über sie. Aber sie müssen auch abseits aller dichten Materiekonzentrationen in Umgebungen wie dieser operieren, wo die Raumzeit praktisch flach ist. Tatsächlich könnte der Antrieb nicht funktionieren, wenn die Raumzeit völlig flach wäre.
Wie kommt jemand überhaupt auf
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