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Sternenlaeufer

Sternenlaeufer

Titel: Sternenlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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erinnerte sich an so vieles – wie sie Drachen gespielt hatten, wie sie gelernt hatten zu reiten und Bogenschießen geübt hatten mit Bogen, die für kleine Knaben viel zu schwer waren, an all die Streiche, die sie angestellt hatten und aus denen sie sich nie herauslügen konnten. Ihm fiel wieder ein, wie sie die Gutenachtgeschichten der Alten Myrdal ernst genommen und das halbe Schloss auf den Kopf gestellt hatten, als sie nach ihren Geheimgängen suchten. Chay hatte sie schließlich erwischt, und diesmal war es Sorin auch nicht gelungen, sich herauszureden …
    Er stand vor der verschlossenen Eisentür der Zelle, beschwor eine Flamme an die Fackel in der Wand und machte sich bereit, der Frau gegenüberzutreten, die eigentlich für den Tod seines Bruders verantwortlich war.
    Er hatte sich vorsichtig und leise angeschlichen. Aber ehe seine Finger auch nur das Schloss berühren konnten, drang ihre Stimme gedämpft und spöttisch von innen heraus: »Nun? Bist du nicht draußen und siehst zu, wenn Zauberei am Werk ist?«
    Andry öffnete die Tür. Mireva stand an der gegenüberliegenden Mauer. Das lange, weißgesträhnte Haar fiel ihr über die Schultern, die graugrünen Augen funkelten, und ihre Handgelenke waren blutige Beweise für ihre Versuche, sich von den Fesseln zu befreien.
    »Wie ich sehe, hast du es dir bequem gemacht«, sagte er im gleichen spöttischen Tonfall.
    »O ja.«
    Es gab eine ganze Reihe von Dingen, die er hätte sagen können. Eine ganze Reihe von Arten, wie er ein Gespräch mit ihr hätte eröffnen können. Aber die Worte, die schließlich über seine Lippen kamen, waren grob und direkt und wurden angetrieben von der Kraft seines Bedürfnisses.
    »Erzähl mir, was du weißt. Ich brauche dein Wissen.«
    Mireva lachte nur.
    »Erzähl es mir.«
    »Und warum sollte ich das tun?««
    »Weil es deine letzte Chance ist.« Er machte eine Pause. »Weißt du, welche Pläne Rohan mit dir hat?« Es war an diesem Nachmittag erwähnt worden, ehe er Rohan erzählt hatte, dass er nicht nach Rivenrock mitkommen würde. Die Idee gefiel ihm sehr gut; sie war von eleganter Einfachheit und verhieß Tage äußerster Qual. Rohan konnte bewundernswert grausam sein, wenn es ihm gefiel.
    Achselzuckend fragte sie: »Und was ändert das? Wir wissen doch beide, dass ich sterben werde.«
    »Es gibt verschiedene Arten zu sterben. Ich persönlich würde dich hier und jetzt töten, aber ich muss zugeben, dass er einen interessanteren Weg ersonnen hat.« Er stand in der offenen Tür und ließ seinen Schatten auf sie fallen. Der Anblick gefiel ihm. »Spürst du schon das Fehlen von Dranath ?«, fragte er mit boshafter Sanftmut.
    Ein Krampf durchzuckte sie und riss ihre Handgelenke auseinander, so dass wieder frisches Blut über ihre Hände lief.
    Andry nickte. »Das dachte ich mir. Sag mir, was ich wissen will, und ich könnte mich entschließen, deinem Leben ein schnelles Ende zu bereiten.«
    Sie schloss für einen Moment die Augen. Dann zuckte sie resignierend mit den Schultern. »Also schön. Aber öffne meine Fesseln.«
    Er hätte fast gelacht. »Nicht einmal für das, was ich von dir lernen könnte.«
    »Narr! Diese Zelle hat vielleicht vier Steinmauern, aber der Boden darunter ist mit Eisenerz versetzt! Kannst du das nicht fühlen, Lichtläufer? Sind deine Sinne so schwach? Die Tür ist aus Eisen. Ich könnte nicht daran vorüber, selbst ohne Stahl in meinem Fleisch! Wenn ich schon sterbe, dann wenigstens mit einem Hauch von Würde! Töte mich nicht, wenn ich verschnürt bin wie ein Schwein auf dem Weg zur Schlachtbank!«
    Andry überlegte und schloss dann die Tür. »Ich werde sie lockern«, sagte er schließlich und beschwor ein wenig Feuer hoch oben an der Wand. »Aber der ›Ohrring‹ bleibt.«
    »Wie du willst«, antwortete sie trotzig.
    Er drehte den Stahldraht auf, der ihre Arme miteinander verband, achtete aber darauf, dass jedes ihrer geschwollenen Handgelenke umwickelt blieb und dass die Fesseln nicht so locker waren, dass sie sie über die Hände schieben konnte. In gewisser Weise war sie frei; die blutroten Drähte waren jetzt bloße Armbänder. Er war überzeugt, dass er, ehe sie sie entfernen oder den Stahl von ihren Ohrläppchen nehmen konnte, durch die Tür hinauslaufen und das Eisen hinter sich zuwerfen konnte.
    »Zu liebenswürdig.« Sie rieb die Gelenke. »Was willst du wissen?«
    »Fang von vorne an. Sonst ergibt es keinen Sinn.«
    Mireva ließ sich auf den Boden nieder. Den Kopf gegen die Wand gelehnt,

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