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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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direkt in den Plastiktellern. Anscheinend taten sie eher so, als verfügten sie nur über primitive Technik, diese beiden seltsamen Flößer, Vater und Sohn.
    Ich aß alles bis auf den letzten Krümel auf. Im Grunde schmeckte das Essen nach nichts, doch gastronomische Belange scherten mich im Moment nicht im Geringsten. Kelos beobachtete mich schweigend, der Junge, der unter dem strengen Blick seines Vaters das Verhör aufgegeben hatte, war inzwischen eingenickt.
    »Das ist ein Ritual hier.«
    »Was?«
    »Eine solche Reise zu unternehmen, eine ganze Woche lang. Das kriegt mein Sohn zum Geburtstag geschenkt.«
    Ich nickte. Dari war zu beneiden. Wahrscheinlich hatte Kelos auch schon ein solches Abenteuer geschenkt bekommen …
    »Nein. Ich bin aus einer anderen Welt. Bei uns … bei uns machte man andere Geschenke.«
    Unsere Blicke kreuzten sich.
    »Ich kann keine Gedanken lesen. Abgesehen davon ist das sowieso Humbug. Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der zu dieser Form der Telepathie in der Lage gewesen wäre. Dir steht einfach alles ins Gesicht geschrieben, man sieht sofort, woran du gerade denkst.«
    Ich glaube, ich wurde rot.
    »Ich habe schon mit so vielen Menschen zu tun gehabt … jungen Menschen, wie du einer bist. Entschuldige, falls ich dich verletzt habe.«
    »Und wo hast du mit ihnen zu tun gehabt?«, wollte ich wissen.
    Kelos betrachtete seinen schlafenden Sohn.
    »In der Armee. Meinem Kommando unterstanden viele junge Männer …«
    Also verstand nicht nur er, in Gesichtern zu lesen. Ich hatte ebenfalls erkannt, dass er gewohnt war zu befehlen … selbst wenn sie unter ruhiger Gelöstheit verborgen lag.
    »Sagt dir der Name Kristallene Allianz etwas?«
    Er hatte diese Frage ganz angespannt gestellt.
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Gar nichts.«
    Anscheinend stellte diese Antwort Kelos zufrieden.
    »Das ist lange her, Pjotr. Und inzwischen fast vergessen … sieht man einmal von einigen Welten ab, die sich noch an sie erinnern.«
    Mein Auftauchen hatte ihn aufgestört, und wie! Es hatte jene Verstecke in der Seele geöffnet, wo jeder seine Leichen verbirgt.
    Und nicht immer Leichen im übertragenen Sinne.
    »Du hast für die Kristallene Allianz gekämpft?«, hakte ich nach.
    Kelos sah seinen Jungen erneut an. »Ich hätte erwartet, ein Gast würde erst einmal von sich erzählen …« Er rang sich ein Lächeln ab. »Ich fürchte, die Namen, Ämter und Planeten würden dir gar nichts sagen.«
    Er sah zum Ufer hinüber, vielleicht um demonstrativ dem von ihm angefangenen Gespräch auszuweichen, vielleicht aber auch, weil er nach etwas Ausschau hielt. Im Sternenlicht wirkte die Welt märchenhaft, und diese Schönheit war nicht die tote des Irrsterns. Silbern schimmerten die Blätter an den Bäumen, die sich bis zum Wasser hinunterneigten, bizarre Schatten zitterten.
    »Ich will den Pfad nicht verpassen«, erklärte er. »Wenn wir ihn nehmen, sind wir in zehn Minuten zu Hause. Wir sind nämlich schon auf dem Rückweg. Pjotr. Eine Geburtstagsfeier muss man im richtigen Moment beenden, das ist die entscheidende Kunst. Dann bleibt sie einem immer im Gedächtnis.«
    »Macht ihr jedes Mal eine Fahrt auf dem Floß?«, fragte ich.
    »Nein. Im letzten Jahr sind wir gewandert. Da haben wir übrigens auch einen Gast getroffen. Aber er … er ist nicht hiergeblieben.«
    »Bei euch tobt nicht zufällig ein kleiner Krieg?«, wollte ich wissen.
    »Nein.« Kelos schüttelte den Kopf. »Und dazu wird es auch nicht kommen. Niemals. Das ist ein sehr friedlicher Planet.«
    »Schön, da kann ich euch nur beneiden.«
    »Wieso das? Du bist doch jetzt hier, Pjotr. Und niemand jagt dich fort, das weißt du doch …«
    Wusste ich das? Kaum. Sie waren hier ja durch die Bank ausgesprochen gastfreundlich, vor allem anfangs. Und alle liebten ihren Planeten. Nur befürchtete ich nach der Welt, aus der ich gerade kam, dass auch die Realität hier ihre Kehrseite hatte …
    »Die Kristallene Allianz war eine auf Gewalt gegründete Vereinigung«, erklärte Kelos plötzlich. »Eine Tyrannei, wie sie im Buche steht. Dabei war sie ursprünglich als Gegengewicht zum Schatten gegründet worden.«
    Er blickte mir in die Augen, offensichtlich in Erwartung einer Reaktion. Gut. Wenn ich jetzt noch wüsste, wie ich zu reagieren hatte …
    »Komisch, dass ich noch nie etwas von ihr gehört habe …«
    »Du bist offenbar noch sehr jung. Die Allianz ist vor fünfzig Jahren praktisch zerfallen. Damals habe auch ich meine Welt verlassen.

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