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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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konnten nichts tun, bis sie eine Möglichkeit gefunden hatten, die Menschen aufzurütteln.
    Und das konnten sie erst in Angriff nehmen, wenn sie wohlbehalten von ihrer Suche zurückgekehrt waren. Reyna blickte über den Wald und wurde wieder ernst. Die Bäume unter ihnen erstreckten sich scheinbar bis ins Endlose. Und Juaren glaubte, daß ihre Suche aussichtslos war. Reyna berührte ihre Schläfen; sie fragte sich, ob sich ihr Glaube an einen Erfolg als stärker erweisen würde.
    »Ich habe Verra schlafend zurückgelassen. Wir kehren besser um«, sagte sie.
    Sie folgten dem Fluß in nördlicher Richtung und schwebten aus den Bäumen hernieder auf ihren Lagerplatz. Die Packen und Geräte lagen dort, wo sie sie am Abend zuvor hatten lallen lassen. Alle drei Rollen Bettzeug waren akkurat gebündelt und aufgestapelt. Verra war fort. Am Ufer des Flusses landen sie sorgfältig in den feuchten Boden geritzte Zeichen.
    Reyna entzifferte laut: »Sie möchte, daß wir hier warten. Sie ist gegangen, um dem Fluß ein Stück weiter nach Norden zu folgen.« Reyna sah mit gerunzelter Stirn flußaufwärts. »Sie hat ihr Antischweregerät mitgenommen.«
    Juaren nickte gleichmütig. »Hast du schon gegessen?« »Nein.«
    Zu einer anderen Zeit hätten sie vielleicht gelacht und sich unterhalten, während sie ihr Essen zubereiteten. Aber seit sie zum Erdboden zurückgekehrt waren, war ein Schatten zwischen sie gefallen. Vielleicht war es der Geist Birnam Rauths. Vielleicht war es das unausgesprochene Bewußtsein dessen, was sie vollenden mußten, bevor sie Juaren lehren konnte, die Rollen in der Bibliothek zu lesen, und bevor sie gemeinsam in die Berge gehen konnten.
    Reyna aß bedächtig, ohne den Geschmack dessen, was sie aß, wahrzunehmen. Als sie fertig war, starrte sie auf die leere Schüssel nieder und bemerkte, daß sie sich an diesem Morgen nicht einmal die Zeit genommen hatte, sich die Sternenseide um die Taille zu binden. Ärgerlich spülte sie die Schüssel im Fluß aus und ging an ihr Gepäck.
    Die blaue Seide lag zusammengefaltet und vergessen bei der weißen. Reyna strich nachdenklich darüber, dann nahm sie das Gewebe mit zu Juaren.
    »Möchtest du sie tragen?« fragte sie.
    Seine Augen leuchteten interessiert auf. »Laß mich sie erst einmal hören.« Er stellte seine Schüssel ab und band die blaue Seide an den dünnen Stamm eines jungen Baumes.
    Die Brise ließ lange auf sich warten. Endlich kam sie auf, wehte sanft durch die Bäume und bewegte die Zweige leicht. Die blaue Seide erbebte, breitete sich ein wenig im Wind aus und streckte ihre Seidenhände dem diffusen Licht der Morgensonne entgegen.
    Das Lied, das sie sang, war kurz und beunruhigend; ein Gesang, der Reyna an ungeweinte Tränen denken ließ. Sie lauschte und fühlte sich plötzlich kalt.
    »Ich ... ich glaube, wir sollten sie zurückgeben«, sagte sie stockend und wandte sich Juaren zu. »Wir sollten sie dem Chatni wiedergeben.« Ob er wohl die gleiche Trauer im Lied der Seide hörte wie sie?
    Offenbar war es so, denn er nickte langsam. »Ja.« Er stand auf und band die blaue Seide los. »Ich verstaue sie im Gepäck, bis wir eine Möglichkeit finden.«
    Eine Weile saßen sie schweigend und warteten auf Verra, horchten in die Stille des Waldes und auf die gelegentlichen Morgenbrisen. Immer, wenn ihr das Lied der blauen Seide wieder in den Sinn kam, schauderte sie. Als Verra nicht erschien, erhob sich Juaren schließlich, ging das Flußufer entlang und betrachtete das seichte Wasser. Er hob einen Zweig auf und ritzte Phantasiefiguren in die Oberfläche des Wassers.
    Endlich stand auch Reyna auf und gesellte sich zu ihm. Sie entdeckten kleine Geschöpfe im flachen Wasser, die sich bei ihrem Nahen unter am Boden des Baches verstreuten Steinen verbargen. Sie untersuchten Pflanzenarten und versuchten zu bestimmen, unter welchen Bedingungen sie wuchsen. Einmal fanden sie eine kleine blaue Blume, die aus der Höhlung eines Baumes wuchs und blühte. Sie untersuchten sie eifrig, als könne sie unter ihren Fingern verwelken.
    Als Reyna das leise Geräusch von Verras Antischweregerät vernahm, blickte sie hoch und stellte überrascht fest, daß der Morgen schon fortgeschritten war. Verra kam durch die Bäume herabgeschwebt und erreichte den Boden inmitten wehender weißer Seiden. Mehrere Sternenseiden trug sie um die Taille gebunden, ihre seidenen Arme flatterten. Zudem trug sie eine smaragdfarbene Seide zu einem Turban gewickelt, der ihr ergrauendes Haar bedeckte.

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