Sternenstaub
ungeduldig.
Der andere Junge starrte mich mit weiten Augen an. So, als würde er an meinem Verstand zweifeln, andererseits schien er aber auch interessiert, wie es weiterging.
Ich setzte wieder meine spannungsgeladene Miene auf. »Und so kam Gerda zum Schloss der Schneekönigin«, fuhr ich fort. »Es waren über hundert Säle darin, alle, wie sie der Schnee zusammenwehte. Das glänzende Nordlicht beleuchtete sie, und wie groß und leer, wie eisig kalt und glänzend waren sie!«
»Was ist das Nordlicht?«, wollte Emmi wissen.
Ich erklärte es ihnen und erzählte, wie Gerda Kay allein und mit blauen Lippen in einem Eissaal fand, dass aber Kay diese Kälte nicht fühlen konnte, weil die Schneekönigin ihm den Frostschauer weggeküsst hatte und weil sein Herz inzwischen ein Eisklumpen war. Ich schilderte ihnen, wie Kay an einem zugefrorenen See kniete, der in tausend Stücke zersprungen war, von dem jedes Stück haargenau dem anderen glich. »Die Schneekönigin erklärte Kay, dass der See der Spiegel des Verstandes war, und somit der einzige und der beste in der Welt, während Kay folgsam die Eisstücke betrachtete. Kay hörte so reglos zu, man hätte glauben können, er wäre erfroren.
Als die Schneekönigin fort war, rannte Gerda zu ihm, flog ihm um den Hals und hielt ihn ganz fest. Aber Kay saß still und steif da. Da weinte die kleine Gerda heiße Tränen, die fielen auf seine Brust; sie drangen in sein Herz, tauten den Eisklumpen auf und verzehrten das kleine Spiegelstück darin. Kay sah Gerda an …«
»Sie hat ihn wieder aufgeweckt«, schluchzte Emmi vor Rührung, der fremde Junge nahm ihre Hand und auch Bo schluckte unmerklich. Da fiel mir auf, dass sich inzwischen noch andere Kinder zu uns geschlichen hatten. Nein, es waren nicht nur Kinder, auch zwei Erwachsene standen dabei. Ich verkniff mir einen Ausdruck des Triumphs und erzählte weiter.
»Kay und Gerda fassten einander bei den Händen und wanderten aus dem großen Schloss heraus. Und wo sie gingen, begann das Eis zu schmelzen, die Sonne kam durch und alles wurde grün. Als sie durch die Türen ihrer Elternhäuser gingen, blühten die Rosen aus der Dachrinne zum offenen Fenster herein und es war Sommer, warmer wohltuender Sommer.«
Während ich erzählt hatte, war Bo immer näher gerückt, als ich fertig war, sagte er eine ganze Weile lang nichts.
»Du hast recht«, meinte er schließlich tief beeindruckt.
»Womit?«
»Es fühlt sich wirklich anders an.«
Ich ließ seine Worte einfach so stehen, und als ich ihn anblickte, wurde mir klar, warum Iason ausgerechnet diese Geschichte für seinen Bruder ausgewählt hatte.
»Ich bin nicht wie die Schneekönigin, Bo, ich will deinen Bruder nicht für mich allein.«
Da war Bo derjenige, der schwieg.
Die anderen Kinder um uns herum begannen sich zu regen. Und als eine der beiden erwachsenen Zuhörerinnen klatschte, fielen sie mit ein. Jola zwinkerte mir zu, als wollte sie mir zu verstehen geben, dass ich einen kleinen Etappensieg errungen hatte.
Ich lächelte leise in mich hinein, als Emmi die Hände auf die Bank stützte und sich mit baumelnden Füßen vorbeugte, um mich über den anderen Jungen hinweg anzusehen. »Aber Lokondra ist wie sie. Er macht alles kalt und dunkel.«
»Und er lässt seine Drohnen nichts mehr fühlen«, bekräftigte der Junge.
Vielleicht war es mir unterbewusst schon viel früher klar gewesen. Ich weiß es nicht. Vielleicht. Bisher hatte ich geglaubt, dass ich einfach nur wegen Iason nach Loduun gekommen war. Aber jetzt, da ich hier saß, ihnen zuhörte und sie erlebte, wurde mir klar, dass es noch einen anderen Grund gab, hier zu sein. Einen ganz vernünftigen. Und in diesem Moment spürte ich auch die Kraft in mir, diesen Leuten tatsächlich etwas geben zu können. Warum auch immer, aber hier und jetzt bekam ich zum ersten Mal eine Ahnung, wie es mir gelingen könnte, sie das Schlimme ab und zu vergessen zu lassen, und wenn es nur für einen kurzen Moment war.
Ich wusste nicht, dass ich schon bald einen Weg finden würde, ihnen noch viel mehr als das zu geben. Was auch gut so war, denn weder Iason noch ich hätten es hören wollen, hätten wir den Preis gekannt.
In diesem Moment erschienen Iason und Ajas wieder am Rand des Festplatzes. Okay, so wie die Augen der beiden leuchteten, musste ihr Gespräch gut gelaufen zu sein. Ich erhob mich von der Bank und winkte Iason kurz zu. Sein Blick flackerte zu mir herüber. Er kam zu uns.
»Und?«, fragte ich lautlos, nur mit den
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