Sternenwind - Roman
sie ihren Arm verloren hat?«, fragte Alicia.
Paloma und Tom warfen sich gegenseitig einen Blick zu. Paloma sah Tom lächelnd an. »Es gibt keinen Grund, keine Kriegsgeschichten zu erzählen. Sie sind fast erwachsen.«
Tom blickte unbehaglich auf den abgewetzten Boden der Hütte. Ich spürte, dass er zwischen Paloma und Nava hin- und hergerissen war, zwischen jemandem, der uns vertraute, und jemand anderem, der es nicht tat, zwischen einer Frau, die er mochte, und einer Frau, die er liebte.
Er würde die Entscheidung selber treffen müssen, aber ich unterbrach sein Schweigen. »In der Nacht vor unserem Aufbruch hat Nava mir ein paar von ihren Kriegserlebnissen erzählt.«
Joseph sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, weil ich ihm noch nicht von Navas Geschichte berichtet hatte. Ich hatte vor, es zu tun, aber sie kam mir zu persönlich vor, und ich hatte immer noch nicht alle Konsequenzen verarbeitet. Außerdem hatte er seine eigenen Probleme gehabt. »Ich würde gern deine Geschichten hören«, fügte ich hinzu, »alles, was du über Jenna weißt.«
Toms Blick ging von mir zu Paloma. »Ich kriege sowieso Ärger, wenn Nava herausfindet, dass die beiden jagen können und ich es angeregt habe.« Er sah Joseph an. »Ich hatte nur nicht damit gerechnet … ich dachte, ihr würdet die Djuri aufscheuchen, so dass ich sie erschießen kann.«
Er ließ die Fingerknöchel knacken und nahm einen Schluck von seinem Glas Wasser. »Ich werde es ihr sagen, nachdem Joseph wieder in der Lage ist, an den Netzen zu arbeiten. Dann kann ich sein neues Selbstbewusstsein auf sein Jagderlebnis zurückführen.«
»Aber du wirst es ihr sagen?«, fragte Paloma.
»Ich könnte Nava niemals belügen. Wie soll sie uns führen, wenn wir ihr bestimmte Dinge vorenthalten?«
Also waren wir nicht die Einzigen, die kleine Geheimnisse wahrten. Tom log nicht, aber er sagte auch nicht alles. Noch nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Nava oder Wei-Wei oder Hunter begeistert waren, wenn sie erfuhren, dass wir mit bloßen Händen Wild erlegen konnten. Wahrscheinlich würden wir heimlich jagen müssen, genauso wie wir heimlich gerannt waren. Sie konnten es nicht ausstehen, wenn wir unsere Fähigkeiten demonstrierten, obwohl Jenna sie mit den gleichen Fähigkeiten vor Gefahren beschützte. Vielleicht weil Jenna sie mit den gleichen Fähigkeiten vor Gefahren beschützte.
Ich stellte meine leere Schale vor mir auf den Boden und kroch zurück zur Wand. Kayleen rückte ein Stück näher an mich heran, um Paloma besser im Auge behalten zu können. Alicia und Joseph saßen bereits nahe beieinander, aber ohne sich zu berühren. Selbst aus einem Meter Entfernung spürte ich die neue Nähe, die zwischen ihnen entstanden war.
Paloma räusperte sich, und ihre Gesichtszüge erschlafften für einen Moment, als sie in die Vergangenheit eintauchte. »Das erste Mal habe ich Jenna kurz nach der Landung der Modifizierten gesehen. Ich kann mich nicht erinnern, Angst vor ihnen gehabt zu haben, denn ich war einfach neugierig. Wir waren nur ein paar Jahre älter als ihr. Tom und Nava, Karin und Pam und …« Sie schluckte. »Egal. Die meisten von ihnen sind tot. Hunter und seine Frau Sarah führten damals die Kolonie. Wir hatten noch gar keinen Einfluss. Also beobachteten wir fasziniert, wie die Delegation vom Raumschiff an uns vorbeiging, um sich mit Hunter und Sarah, Wei-Wei und den Gildeführern zu treffen. Wir hatten auch noch keine Kulturgilde. Diese wurde erst nach dem Krieg von einer Gruppe älterer Leute gegründet, die zu alt zum Kämpfen waren. Sie veranstalteten gemeinschaftliche Mahlzeiten und hielten die Parks sauber. Und später wurde sie zu einer Zuflucht für die Verwundeten. Aber ich schweife ab …«
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die vielen Erinnerungen zurückdrängen. »Jenna gehörte zur ersten Delegation. Sie alle überragten uns um mindestens einen Kopf. Wie ihr jetzt. Ansonsten sahen sie kaum anders aus als wir. Gesund – sie strotzten geradezu vor Gesundheit und Kraft. Vielleicht wählten sie Modifizierte aus, die äußerlich nicht so sehr verändert waren, um uns keine Angst zu machen. Damals hatte Jenna kurzes Haar, und sie war natürlich noch nicht verwundet. Sie bewegte sich mit einer Anmut, wie ich sie noch nie zuvor bei jemandem erlebt hatte, als würde sie dahingleiten. Ich fand sie wunderschön und exotisch. Sie machte sich Notizen über Artistos, und ich sah, wie sie manchmal in Gespräche mit Sarah vertieft
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