Sternenzitadelle
Umwege.«
»Jedenfalls hat es mich für dieses Wunder sehr teuer bezahlen lassen«, murmelte Ghë verbittert.
»Ich habe gehört, dass Eure Peiniger ihre gerechte Strafe bekommen haben.«
»Leider hat der Anblick ihrer Köpfe meinen Schmerz nicht gelindert.«
Gil drehte sich um und warf Ghë, die in ihrer Koje lag, einen vorwurfsvollen und gleichzeitig mitfühlenden Blick zu.
»Wenn Ihr die Prophezeiung El Guazers erfüllt, werdet Ihr Euch nicht mehr quälen müssen und zu heiterer Gelassenheit zurückfinden.«
»Ist das ebenfalls eine Prophezeiung, Gil?«
»Nein, nur eine Intuition, Schwester Ghë. Verzeiht mir, sollten meine Worte selbstgefällig gewesen sein.«
»Warum seid Ihr ein Adept Mâas geworden, und warum kämpft Ihr gegen Eure Kaste?«
Tränen traten in Gils Augen. »Meine Mutter war eine ihrer ersten Schülerinnen, und ich folgte ihr auf diesem Weg …«
Ghë war erschüttert und wünschte sich, noch weinen zu können wie dieser junge Mann.
»Ich muss Euch jetzt verlassen«, sprach er weiter. »Ihr werdet rechtzeitig über unser Vorgehen informiert. Noch vor Kurzem hatten wir jede Hoffnung verloren. Doch dass Ihr lebt, hat uns ungeahnte Kräfte verliehen. Auch wenn wir in der Zahl unseren Feinden unterlegen sind: Wir werden siegen!«
»Noch eine Frage, ehe Ihr geht: Wie kommt es, dass ich
hier in dieser Kabine viel besser atmen kann als in meiner alten?«
»Die Kaste der Herrscher und die der Techniker haben in gewissen Bereichen den Sauerstoff rationiert, weil sie fürchteten, dass es ihnen selbst daran mangeln würde. Dieses Verteilungssystem hatte außerdem noch einen Vorteil. Auf diese Weise konnte es nie zu Aufständen kommen. Denn schlecht durchblutete Gehirne schmieden keine Pläne für eine Rebellion. Diesen Missstand werden wir noch vor Ausbruch der Kämpfe beseitigen. Wir brauchen Soldaten, die in Form sind!«
Gil verneigte sich und ging.
In Gedanken versunken hatte Ghë nicht auf die zunehmenden Erschütterungen geachtet, denen der Weltraumzug ausgesetzt war. Er hatte ohne größere Schäden den Asteroidengürtel passiert und drang in das Sonnensystem ein.
Der Primas Kwin suchte sie kurz darauf wieder auf und bedrängte sie auf schroffe Weise mit weiteren Fragen, aus denen die junge Frau klar erkannte, dass der Mann auf seiner dominanten Position und der seiner Kaste beharrte. Sie fragte sich, ob die Herrschenden nicht Mâas Projekt entdeckt, oder schlimmer noch, Gil geschickt hatten, um ihr das notwendige Wissen zu entlocken.
»Ich habe den Eindruck, dass Sie uns in eine Sackgasse führen, Schwester Ghë«, murrte Kwin. »Ich frage mich, ob es klug war, Ihnen das Leben zu schenken.«
»Ich frage mich ebenfalls, ob sich das Leben noch lohnt«, konterte sie.
»Jedenfalls gibt es keinen Beweis, ob die Kryptogame Ihnen etwas Wichtiges enthüllt haben. Wahrscheinlich verfügen Sie über eine besonders robuste Konstitution. Das
müssen Sie wohl, denn sonst hätten Sie die Attacken von sechs vor Kraft strotzenden Männern nicht überlebt.«
Sie biss sich auf die Unterlippe, sonst hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt.
»Ihre Anpassungsfähigkeit ist bemerkenswert, Schwester Ghë. Ich sprach von den qualvollsten Stunden Ihres Lebens, und Sie reagieren ohne Zorn, mit großer Gelassenheit.«
»Zorn ist ein schlechter Ratgeber …«
Der kleine Mann kratzte sich am Kopf. »Überlegen Sie es sich gut, Schwester Ghë. Es ist nicht in Ihrem Interesse, mir etwas zu verschweigen, was Sie während Ihres Trancezustands erfahren haben sollten.«
»Sie erwähnten meine robuste Konstitution …«
»Was ist besser? Mit uns zusammenzuarbeiten und am Leben zu bleiben oder zu schweigen und mit Ihrem Geheimnis in den Tod zu gehen?«
»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Und ich kann mich immer nur bruchstückhaft erinnern.«
»Bald wird die Erde in unser Blickfeld rücken. Vielleicht hilft Ihnen der Anblick unseres Ursprungsplaneten, sich an alle Bruchstücke zu erinnern.«
Als Ghë zum ersten Mal die Erde erblickte, war sie allein. Obwohl kein Astronom ihr erklärt hatte, was dieser winzige blaue Punkt am linken goldenen Lichtkranz der Sonne sei, wusste sie intuitiv, dass es sich um ihren Heimatplaneten handelte.
Sie hatte geglaubt, die Vigilanten hätten jegliches Empfindungsvermögen in ihr ausgelöscht, doch allein dieser Anblick bewirkte, dass sie sich mit sich selbst versöhnte, dass sie wieder Freude und Trauer empfinden konnte und sich aus ihrer Erstarrung löste. Mehr
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