Sternhagelverliebt
warum weiß ich dann nicht, wie das Ende aussieht?
Nachdem Henry gegangen ist, verbringe ich den Rest des Nachmittags in der Bibliothek und arbeite an der Liste mit Dingen, die ich ihm beichten werde.
Ich weiß nicht genau, warum ich diesen Schritt noch vollenden will, aber irgendwie spüre ich, dass sich diese ganze Sache im Laufe der Zeit von einem großen Spaß zu etwas Wichtigem entwickelt hat. Vielleicht waren es die Therapiesitzungen mit meinen Eltern, oder vielleicht sind es auch die Dinge, die Saundra mir während meines Aufenthaltes hier gesagt hat. Ich denke zwar immer noch nicht, dass ich ein echtes, ernsthaftes, schweres Alkoholproblem habe, doch ich verstehe allmählich, warum einige Mitmenschen glauben können, dass ich eins hätte. Ganz abgesehen davon muss sich in meinem Leben etwas ändern. Ohne Frage.
Im Übrigen ist diese Selbstbetrachtung leichter, als über den leeren Ausdruck auf Henrys Gesicht nachzudenken, als ihm der Grund für meine Bitte bewusst wurde.
Tja, ohne mich ist er besser dran. Spätestens wenn er von meinen schlimmsten Fehlern gehört hat, wird er es wissen. Und da sowieso nichts zwischen uns gewesen ist, wird er vielleicht sogar froh darüber sein …
Ich werde meine Fehler gestehen, und er wird gehen. Dann kann ich einfach das Mädchen sein, mit dem er laufen ging, während er in der Entzugsklinik auf Connor aufpasste. Und für mich wird er einfach nur ein weiterer Kerl sein, den ich wegstieß, ehe die Dinge zu kompliziert wurden.
Als es Zeit fürs Abendessen ist, falte ich das Blatt Papier mit der Liste zusammen und setze mich wie immer neben Amber in die Cafeteria. Connor und Henry sitzen uns gegenüber. Irgendwie ist die Stimmung zwischen uns gedrückt, als würde sich niemand eingestehen wollen, dass dies unser letzter gemeinsamer Abend ist.
Gegen Ende des Essens sagt Amber: »Ich habe einen Wagen organisiert, falls du mit in die Stadt fahren möchtest.«
»Willst du zurückfahren?«
»Ich fliege nicht gern, wenn es nicht unbedingt sein muss.«
»Gut, sicher. Danke. Um wie viel Uhr geht es los?«
»Direkt nach dem Frühstück.«
»Klingt gut.«
Abrupt steht Henry auf und nimmt sein Tablett mit. »Sollen wir uns den Film ansehen?«
Connor wirft Amber über den Tisch hinweg einen Blick zu. »Wir kommen später nach.«
Amber erwidert seinen Blick. »Ja, später.«
Henry und ich gehen in den Gemeinschaftsraum. Candice und Muriel sitzen zusammen in der Nähe des Bildschirms und wispern verschwörerisch. Ich winke Muriel kurz zu. Sie schaut mich beleidigt an und flüstert dann weiter mit Candice. Ein wahres Dreamteam, das der Reha-Himmel zusammengeführt hat.
Die Lichter werden gedimmt. Heute zeigen sie eine
BBC
-Adaption von Jane Austens
Verführung.
Anne, die kluge, mittlere Tochter eines dummen Barons, verliebt sich in einen armen, gutaussehenden Marineoffizier namens Frederick. Ihre Familie ist gegen die Verbindung, und die beiden trennen sich. Acht Jahre später zieht der mittlerweile wohlhabende Frederick zurück in die Gegend. Er ist immer noch wütend auf Anne, weil sie ihn Jahre zuvor hat fallenlassen.
Während wir den Film sehen, wird mir immer mehr bewusst, dass Henry neben mir sitzt, und ich denke unentwegt an das, was wir später noch vorhaben. Vielleicht liegt es an dem Melodram, das auf dem Bildschirm läuft, aber es kommt mir vor, als würde ein Teil meines Lebens enden – und ich spüre jede Sekunde davon.
Ich schüttele die Gedanken ab und bemühe mich, den Film zu genießen, der ziemlich gut ist und sich genau an das Original hält, bis …
»Nein, nein, nein«, murmele ich leise.
Auf dem Bildschirm rennt Anne durch die Straßen von Bath, um Frederick zu finden, nachdem er ihr in einem Brief seine immerwährende Liebe gestanden hat.
Ich schnaube verächtlich. »Das steht so nicht im Buch.«
»Was? Zur Zeit von Jane Austen sind die Frauen in England nicht den Männern hinterhergerannt?«
»Natürlich nicht.«
Anne findet Frederick schließlich und sagt ihm, dass nichts sie davon abhalten wird, ihn diesmal zu heiraten. Sie küssen sich (ein verschwitzter, atemloser Kuss, mitten auf der Straße!), und das ist das Ende. Als das Licht wieder angeht, erkläre ich Henry aufgebracht, dass es nicht nötig sei, eine Geschichte zu modernisieren, die so, wie sie geschrieben wurde, absolut perfekt sei.
Henry wirft mir ein spöttisches Lächeln zu. »Warum ist dir das so wichtig?«
»Weil das Original perfekt ist.«
»Ach,
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